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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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mit Honig und Kalbslende gepäppelt worden war und den zahllose Sklaven verhätschelt hatten, waren Esmenets Erfahrungen fern wie das entlegene Zeüm.
    »Seit ich denken kann«, hatte er ihr gestanden, »fühle ich mich zu den einfachen Leuten hingezogen, zu den Armen – zu denen, die den Mehrwert erzeugen, von dem Leute wie ich und meine Familie leben.« Er lachte vor sich hin. »Mein Vater hat mich oft mit dem Stock bestraft, wenn ich mit Feldsklaven gespielt oder mich in der Spülküche versteckt hatte und mich an die Mägde heranschleichen wollte, um ihnen unter den Rock zu schauen…«
    Sie hatte ihm eine scherzhafte Ohrfeige gegeben. »Männer sind wie Hunde – nur dass sie zum Beschnüffeln des Hinterteils die Augen nehmen.«
    Er hatte gelacht und gerufen: »Das schätze ich so an deiner Gesellschaft! Wie du zu leben, ist das eine – etwas ganz anderes ist es, darüber sprechen und so andere daran teilhaben lassen zu können. Deshalb bin ich dein Verehrer, Esmi. Dein Schüler.«
    Wie hätte sie das nicht begeistern sollen? Wenn sie seinem herrlichen Blick begegnete – dem Braun seiner Augen, das an fruchtbaren Boden denken ließ, während das Weiß wie nasse Perlen schimmerte –, sah sie sich gespiegelt, wie sie es sich nie vorzustellen gewagt hatte: als außergewöhnlichen Menschen, den das Leiden eher erhoben als erniedrigt hatte.
    Als sie ihn jetzt aber im Licht des Lagerfeuers die Fäuste ballen sah, nahm sie sich als grausam wahr.
    »Ich hab es dir gesagt«, antwortete sie vorsichtig. »Ich liebe ihn.«
    Nicht dich – ihn.
    Unterschiedlichere Männer als Achamian und Sarcellus konnte Esmenet sich nicht vorstellen. In mancher Hinsicht war die Verschiedenheit offenkundig. Der Tempelritter war ungeduldig, rücksichtslos und intolerant. Entscheidungen fällte er sofort und unwiderruflich, als kämen die Dinge einfach dadurch ins Lot, dass er sie für richtig erklärte. Er bedauerte nur selten etwas – und wenn, dann nie besonders tief.
    In manch anderer Hinsicht aber waren die Unterschiede subtiler und aufschlussreicher.
    In den ersten Tagen nach der Rettung war ihr Sarcellus völlig unergründlich erschienen. Wenn er seinen heftigen Zorn auch mit kindlicher Wut und prophetischer Überzeugung äußerte, empfand er für die, über die er sich ärgerte, doch keinen Widerwillen. Obwohl er sich allen Schwierigkeiten – sogar den unwichtigen Problemen der täglichen Verwaltungsarbeit – näherte, als müsste er sie zermalmen, griff er zu eher eleganten als ungehobelten Methoden. Und trotz seiner unsinnigen Überheblichkeit empfand er Kritik nie als Bedrohung, sondern konnte besser als die meisten über die eigene Torheit lachen.
    Sarcellus war ihr zunächst als wandelndes Paradoxon erschienen – tadelnswert und doch betörend. Dann aber begriff sie: Er war ein Kjineta, gehörte also zum Hochadel. Während Suthenti (Angehörige der niederen Kasten wie sie selbst oder Achamian) sich vor anderen fürchteten, vor sich, vor den Jahreszeiten, vor Hungersnöten, fürchtete Sarcellus nur Kleinigkeiten: dass bestimmte Leute bestimmte Dinge reden könnten; dass der Regen es vielleicht erforderlich machte, die Jagd aufzuschieben. Dieser Unterschied, so begriff sie, veränderte alles. Achamian war womöglich ebenso temperamentvoll wie Sarcellus, doch Furcht ließ seinen Zorn bitter und anfällig für Gehässigkeit und stillen Groll werden. Auch er konnte überheblich sein, doch seine Furcht ließ jede Arroganz bei ihm stets schrill und nicht selbstsicher wirken. Und seine Haltung duldete – anders als die des gelassenen Sarcellus – keinen Widerspruch.
    Dank seiner Kastenzugehörigkeit hatte der Tempelritter die Furcht – anders als die Armen – nicht zum Dreh- und Angelpunkt seiner Leidenschaften machen müssen. Folglich besaß er eine unüberwindliche Selbstsicherheit. Er fühlte, handelte und entschied ganz ungebrochen. Die Sorge, falschzuliegen – eine Sorge, die Achamian stark prägte –, gab es für Cutias Sarcellus nicht. Während Achamian sich um manche Antwort nicht scherte, kümmerte Sarcellus sich gar nicht erst um die Frage. Keine Sicherheit, dachte Esmenet, konnte größer sein.
    Doch sie hatte die Folgen ihres Nachdenkens über Sarcellus nicht bedacht. Ein beunruhigendes Gefühl von Vertrautheit folgte dem Verstehen seiner Persönlichkeit. Als seine Fragen, seine Neckereien und sogar die Art, wie er mit ihr schlief, deutlich zeigten, dass er mehr wollte als nur ein paar Schäferstündchen, die

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