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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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gedacht, dass all diese Potentaten dem Ruf des Stoßzahns folgen würden? Und bei weitem nicht nur Potentaten! Priester der Tausend Tempel, aber auch von jeder religiösen Gruppe, die sich auf verschiedene Aspekte des einen und einzigen Gottes berief, waren von allen möglichen Gestaden und Gebirgszügen aufgebrochen, um im Heiligen Krieg ihren Platz einzunehmen, Lieder zu singen, Becken zu schlagen und die Luft mit Weihrauch und diversen Formen der Verherrlichung zu schwängern. Götzen wurden gesalbt und mit feinstem Rosenblütenöl eingerieben, und die Priesterinnen der Gierra gaben sich als Tempelhuren schwieligen Kriegern hin. Drogen gingen ehrfürchtig von Hand zu Hand und wurden in andächtiger Stimmung gemeinsam konsumiert, und Schamanen wälzten sich verzückt schreiend im Staub. Dämonen wurden ausgetrieben. Die Reinigung des Heiligen Kriegs hatte begonnen.
    Stets versammelten sich die Männer des Stoßzahns nach ihren Gottesdiensten, um wilde Gerüchte auszutauschen oder über den körperlichen und geistigen Verfall der Heiden zu spekulieren. Bei solcher Gelegenheit frotzelten sie gern, die Frau des Skaiyelt wirke sicher männlicher als Chepheramunni, oder behaupteten lachend, die Nansur seien große Freunde des Analverkehrs, was sich schon daran zeige, dass ihre Soldaten dicht hintereinander marschierten. Immer wieder schikanierten sie Sklaven, die sich krank stellten, oder johlten Frauen hinterher, die mit Waschkörben vom Ufer des Phayus kamen. Und gewohnheitsmäßig warfen sie den seltsamen Gruppen von Fremden, die dauernd durchs Lager strichen, finstere Blicke zu. So viele Krieger… welche Herrlichkeit!

 
     
     
Teil IV
     
     
     
    Der Krieger

 
12. KAPITEL
     
    DIE STEPPE JIÜNATI
     
     
     
    Ich habe beschrieben, wie Maithanet die gewaltigen Ressourcen der Tausend Tempel mobilisiert hat, um die Durchführbarkeit des Heiligen Kriegs zu gewährleisten; ich habe die ersten Schritte umrissen, die der Kaiser unternommen hat, um den Heiligen Krieg für seine ehrgeizigen politischen Ziele zu vereinnahmen, ich habe versucht, die anfängliche Reaktion der Cishaurim in Shimeh aus ihrem Briefwechsel mit dem Padirajah in Nenciphon zu rekonstruieren; und ich habe sogar die verhassten Rathgeber erwähnt, über die ich endlich schreiben kann, ohne befürchten zu müssen, verlacht zu werden. Mit anderen Worten: Ich habe fast ausschließlich von mächtigen Gruppen und ihren unpersönlichen Zielen gesprochen. Wie steht es aber mit der Triebfeder Rache? Mit dem Motiv Hoffnung! Verglichen mit dem gewaltigen Panorama konkurrierender Nationen und einander bekämpfender Religionen sind solche Leidenschaften herzlich unbedeutend – wie also haben sie es dennoch schaffen können, den Heiligen Krieg zu beherrschen?
     
    Drusas Achamian, Handbuch des Ersten Heiligen Kriegs
     
     
    Die gelehrten Ordensleute mögen mit Männern, Frauen und Halbwüchsigen Verkehr haben und ihren Samen selbst an Tiere vergeuden – nie werden sie so lasterhaft sein wie die Philosophen, die sich mit allen nur denkbaren Gegenständen abgeben.
     
    Aus dem Traktat des Inri Sejenus, Kap. 36, Vers 21
     
     
     
    IM NORDEN DER STEPPE JIÜNATI,
    VORFRÜHLING 4111
     
    Cnaiür verließ das Lager der Utemot und ritt durch die karge Prärie nach Norden. Er kam an Rinderherden vorbei und winkte den Hirten – kaum mehr als bewaffnete Kinder – widerwillig von Ferne zu. Die Utemot waren wenige geworden und unterschieden sich kaum mehr von den Nomaden des Nordostens, die sie früher ab und an von den Grenzen ihrer Weidegründe vertrieben hatten. Die Katastrophe am Kiyuth hatte ihrem Stamm einen höheren Blutzoll abverlangt als vielen anderen, und die lieben Verwandten im Süden – die Kuöti und die Ennutil – plünderten ihre Weiden inzwischen nach Lust und Laune. Obwohl Cnaiür im Waffengeplänkel der Stämme Guerillamethoden eingesetzt und so mit kleinem Einsatz viel erreicht hatte, gab er sich keinen Illusionen hin: Die Utemot standen vor dem Untergang; schon ein weiterer Dürresommer konnte ihnen zum Verhängnis werden.
    Er ritt über immer spärlicher bewachsene Hügel und trieb sein Pferd durch Gestrüpp und vom Schmelzwasser geschwollene Bäche. Die Sonne stand weiß und fern am Himmel und schien zu schwach, um Schatten zu werfen. Es roch nach Vorfrühling, nach feuchter Erde unter winterfahlem Gras. Die Steppe dehnte sich vor ihm aus, und der Wind strich in silbernen Wellen über sie hin. Auf halbem Weg zum Horizont erhoben sich die

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