Schattenfall
stärker und hitziger wurde und rasch von all seinen Gliedern Besitz ergriffen hatte. Bald konterte der Scylvendi in frappierendem Tempo und mit markerschütternder Wucht. Nur einmal hatte der Dunyain Scylvendi-Kinder Bagaratta üben sehen, jene weit ausholende Art des Schwertkampfs, die in der Steppe typisch war. Damals hatte er gefunden, ihre Bewegungen seien überaus umständlich und mit fragwürdigen Schnörkeln befrachtet.
Doch das war anders, wenn man mit Kraft ausholte. Zweimal hätten Cnaiürs gewaltige Streiche den Dûnyain fast zu Boden gehen lassen. Kellhus wich zurück, täuschte Müdigkeit vor und erweckte so den Eindruck, der Häuptling stehe kurz davor, den tödlichen Stoß zu führen.
Er konnte Serwë schreien hören.
»Bring ihn um, Kellhus! Bring ihn um!«
Knurrend verstärkte der Barbar seine Attacke. Kellhus wehrte mit knapper Mühe eine wüste Serie von Hieben ab und tat verzweifelt. Dann aber griff er blitzschnell nach Cnaiürs rechtem Handgelenk, bekam es zu fassen und zerrte ihn zu sich heran. Doch irgendwie schaffte der Utemot das Unmögliche und konnte seine freie Hand – scheinbar mitten durch den Arm, mit dem Kellhus sein Schwert führte – hochreißen und sie seinem Gegner mit voller Wucht ins Gesicht drücken.
Kellhus ließ sich nach hinten fallen, trat Cnaiür dabei zweimal in die Rippen, rollte weiter in den Handstand und sprang von dort ohne jede Anstrengung wieder in die Grundstellung.
Der Dunyain schmeckte sein Blut. Wie ist denn das möglich?
Der Scylvendi stolperte und hielt sich die Seite.
Kellhus begriff, dass er die Reflexe seines Gegners falsch eingeschätzt hatte – wie so vieles andere auch.
Er warf sein Schwert beiseite und ging auf den Häuptling zu. Cnaiür brüllte, machte einen Ausfallschritt und stieß zu. Kellhus sah die Klinge vor Steilhängen und jagenden Wolken im Bogen durchs blitzende Sonnenlicht fahren, fing sie mit den Händen wie eine Fliege, wand Cnaiür den Knauf seines Schwerts aus der Hand, trat in seine Reichweite und schlug ihm ins Gesicht. Kaum taumelte sein Gegner rückwärts, bückte er sich und zog ihm die Beine weg.
Statt aus der Gefahrenzone zu kriechen, kam Cnaiür mit einer Rolle wieder auf die Beine und sprang seinen Gegner an. Kellhus wich zur Seite, erwischte den Scylvendi von hinten am Gürtel, bekam ihn dabei auch am Nacken zu packen und wuchtete ihn dorthin, woher er gekommen war – und zugleich ein Stück näher an den Abgrund. Als Cnaiür sich aufrichten wollte, trieb Kellhus ihn wieder ein Stück zurück.
Noch ein paar Schläge, und der Scylvendi war einem tollwütigen Tier ähnlicher als einem Menschen, atmete zitternd und japsend und drosch mit Armen um sich, die längst mit Taubheit geschlagen waren. Kellhus verpasste ihm noch einen enormen Schlag, der Cnaiür benommen zu Boden gehen ließ, wobei er sich den Schädel schwer an einem Stein stieß.
Kellhus wuchtete den Barbaren über die Felskante und ließ ihn an einem Arm überm Abgrund baumeln.
»Mach schon!«, keuchte Cnaiür, dessen Beine im Leeren pendelten.
So viel Hass.
»Aber ich habe nicht gelogen, Cnaiür – ich brauche dich wirklich.«
Die Augen des Utemot weiteten sich vor Schreck. Lass endlich los, war in seiner Miene zu lesen. Da unten hab ich meinen Frieden.
Kellhus merkte, dass er den Scylvendi schon wieder falsch eingeschätzt hatte. Er hatte gedacht, körperliche Gewalt könnte ihm keinen seelischen Schock zufügen, aber das stimmte offenbar nicht. Der Dunyain hatte den Utemot so verprügelt, wie ein gewalttätiger Ehemann sich an seiner Frau austoben mag – oder ein brutaler Vater an seinem Kind. Diese Erfahrung hatte Cnaiür gezeichnet und würde ihn nie mehr verlassen – er würde sich immer wieder an diesen Kampf erinnern, mitunter aber auch plötzlich von zehrenden Szenen daraus heimgesucht werden. Noch eine Erniedrigung mehr, mit der er das Feuer seines Hasses schüren konnte.
Kellhus zerrte ihn in Sicherheit und ließ ihn dann achtlos liegen. Noch eine Kleinigkeit, die den Scylvendi demütigen musste.
Serwë hockte weinend neben ihrem Pferd – nicht aus Freude, weil Kellhus den Scylvendi gerettet, sondern aus Verdruss, weil er ihn nicht getötet hatte. »Iglitha sun tamatha!«, wimmerte sie in ihrer Muttersprache. »Iglitha sun tamatheaaa!«
Wenn du mich lieben würdest.
»Glaubst du mir jetzt?«, wollte Kellhus von Cnaiür wissen.
Der Scylvendi sah ihn so bestürzt wie benommen an und wirkte erstaunt darüber, keinen Zorn zu
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