Schattenfall
konnte doch nicht völlig bedeutungslos sein! Alles, wonach sie sich sehnte, war ein Zeichen… irgendein Zeichen – egal, welches… Sie kroch vor den Götzen geradezu im Staub.
Dann hatte Peristus, ein Sohn des Hausherrn, sie mit in sein Ehebett genommen. Serwë hatte seine Frau – ein Mädchen mit dem Gesicht eines Mannes, das mit Peristus verheiratet worden war, um zwischen zwei großen Adelshäusern eine Verbindung zu stiften – zunächst bedauert. Doch als Peristus sich an die Konkubine hielt, um in Fahrt zu kommen und anschließend seine Frau schwängern zu können, spürte Serwë deren Hass so intensiv, dass sie auf brennenden Laken zu liegen glaubte. Nur um die tugendhafte Schnepfe zu ärgern, hatte sie wild gestöhnt und geschrien, die Geilheit des Peristus mit saftigen Hurensprüchen und ein paar geschickten Griffen angeheizt und ihm schließlich seinen Samen abgeluchst.
Da hatte die hässliche kleine Frau geweint, wie wahnsinnig geschimpft und – so oft Peristus sie auch schlug – keine Ruhe gegeben. Zwar hatte die Schadenfreude, die dieser Vorfall in ihr ausgelöst hatte, Serwë beunruhigt, aber sie war dennoch zum Heiligtum gehetzt, um den Ahnen des Hauses zu danken. Und als sie kurz darauf merkte, dass sie von Peristus schwanger war, stahl sie dem Stallknecht eine Taube und opferte sie den Penaten.
Als sie im sechsten Monat war, flüsterte die Frau des Peristus ihr zu: »Na, Serchaa – noch drei Monate bis zum Begräbnis.«
Erschrocken wandte sie sich daraufhin direkt an Peristus, fing sich aber nur eine Ohrfeige und wurde seiner Gemächer verwiesen. Für ihn war sie ein Nichts. Also kehrte sie zu den Götzen des Hauses Gaunum zurück und opferte ihnen dieses und jenes. Alles hätte sie ihnen geopfert, doch auch dieses Kind war ein blaues Baby gewesen. Das jedenfalls hatte man ihr erzählt. Blau wie die Priester von Jukan.
Selbst da hatte Serwë noch weiter gebetet – diesmal allerdings um Rache. Sie hatte die Gaunum-Ahnen angefleht, das Geschlecht der Gaunum zu vernichten…
Ein Jahr später hatte der Hausherr sein Anwesen mit all seinen Männern zu Pferd verlassen. Die für den Heiligen Krieg versammelten Kämpfer waren aufsässig geworden, und der Kaiser brauchte seine Generäle. Kaum aber waren die Männer abgezogen, waren die Scylvendi gekommen: Panteruth und seine Munuäti.
Die Barbaren hatten Serwë im Heiligtum gefunden, wo sie gerade schreiend Steingötzen auf dem Boden zerschmetterte.
Das Landhaus brannte und fast alle hässlichen Gaunum-Frauen und ihre hässlichen Gaunum-Kinder wurden niedergemetzelt. Die Frau des Barastas, die jüngeren Konkubinen und die hübscheren Sklavinnen wurden durchs Tor getrieben. Serwë hatte wie alle anderen geschrien und um ihr brennendes Zuhause gejammert. Um ein Zuhause, das sie so sehr gehasst hatte.
Alptraumhaftes Elend. Brutalität, die alles überstieg, was sie bis dahin hatte erleiden müssen. Jede Frau war mit einem Seil an den Sattel eines Munuäti-Kriegers gebunden worden, der sie laufen und laufen ließ – den ganzen Weg bis zum Hethanta-Gebirge. Nachts drängten sie sich zusammen und weinten und schrien, wenn die Munuäti – das stramme Glied penibel eingeschmalzt – zu ihnen kamen. Und Serwë dachte oft an ein scheyisches Wort, für das es in ihrer Muttersprache keine Entsprechung gab… ein Wort, das sie den Gräueltaten, die sie erleiden musste, entgegensetzen konnte.
Gerechtigkeit.
Trotz ihrer Eitelkeit, ihrer Reizbarkeit und all ihrer Sünden bedeutete sie etwas. Sie war jemand. Sie war Serwë, die Tochter von Ingaera, und sie verdiente weit mehr als das, was sie bekommen hatte. Sie wollte sich ihre Würde erkämpfen. Und wenn das nicht klappte, wollte sie hassend untergehen.
Doch sie hatte ihren Mut zu einer schrecklichen Zeit gewonnen. Sie hatte nicht weinen, sondern stark sein wollen und Panteruth – dem Scylvendi, der sie als Beute beansprucht hatte – sogar ins Gesicht gespuckt. Die Steppenbewohner aber waren kaum als Menschen zu bezeichnen. Sie sahen auf alle Fremden wie von einem gottverlassenen Gipfel herab und waren unnahbarer als selbst die brutalsten Söhne der Gaunum-Familie. Sie waren Scylvendi – Leute, die Pferden den Willen und Menschen das Leben nehmen. Und sie war Serwë.
Aber irgendwie hatte sie sich an dieses Wort geklammert. Und als die Munuäti-Horde dann von den beiden Männern getötet wurde, hatte sie zu jubeln gewagt und tatsächlich geglaubt, sie werde erlöst. Endlich widerführe ihr
Weitere Kostenlose Bücher