Schattenfall
packte Serwë am Hemd, schlitzte es vom Hals bis zum Bauch auf, schob den Stoff mit der Messerspitze beiseite und enthüllte ihre rechte Brust. Bei all dem vermied er es, ihr ins Gesicht zu sehen.
»Donnerwetter«, meinte er, atmete tief aus und verbreitete dabei einen Gestank aus Zwiebeln, verfaulten Zähnen und herbem Wein. Schließlich blickte er ihr doch in die erschrockenen Augen und legte die Hand an ihre Wange. Sein Daumennagel war dunkelrot unterlaufen und schien gequetscht zu sein.
»Lass mich in Ruhe«, flüsterte sie mit gepresster Stimme. Ihre Augen brannten, und die Lippen zitterten ihr, als sie diese ohnmächtige Bitte äußerte.
»Pssst«, sagte er leise und zog sie sanft zu sich heran.
»Sei nicht schäbig zu mir«, murmelte sie unter Tränen.
»Das würde ich nie wagen«, meinte er mit ergriffener Stimme, in der fast so etwas wie Ehrfurcht zu liegen schien.
Dann beugte er sich nieder, setzte ein Knie auf die Erde und stieß seinen Dolch in den Waldboden. Dabei atmete er schwer. »Gütiger Sejenus«, keuchte er und wirkte tief erschrocken.
Sie zuckte zurück, als er ihr seine zitternde Hand an die Brust legte, und begann zu schluchzen.
… bittebittebittebitte…
Eins der Pferde wieherte unruhig auf, und man hörte ein Geräusch, als würde eine Axt in nasses Totholz fahren. Serwë blickte kurz hoch und sah, dass der Kopf des jüngeren Reiters nur noch an einem Hautlappen hing und das Blut nur so aus dem Stumpf seines fallenden Torsos spritzte. Dann sah sie Cnaiür mit wogender Brust und schweißnassen Gliedern dastehen.
Der Mann mit der Narbe im Gesicht schrie auf, rappelte sich hoch und zog sein Langschwert. Doch Cnaiür schien davon nicht beunruhigt. Sein mordgieriger Blick galt stattdessen ihr.
»Hat dieses Tier dir weh getan?«, bellte er mehr, als dass er fragte.
Serwë schüttelte den Kopf und zog benommen ihr Hemd zurecht. Dabei bemerkte sie den Griff des Dolchs, der zwischen Blättern im Boden steckte.
»Hör mal, Barbar«, sagte der Kidruhil hektisch, wobei sein Schwert deutlich zitterte. »Ich hatte keine Ahnung, dass sie dir gehört… Nicht die leiseste Ahnung.«
Cnaiür fixierte ihn aus eisigen Augen, und ein befremdliches Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Dann spuckte er verächtlich auf den toten Reiter und grinste anzüglich.
Der Offizier entfernte sich von Serwë, als wollte er sich von seinem Verbrechen distanzieren. »Na los, Freund – nimm unsere Pferde. Sie gehören dir…«
Serwë hatte hinterher den Eindruck, sie sei hinunter zu ihren Füßen getaucht und dann zu dem Narbengesicht geflogen. Und dann habe das Messer einfach in seinem Hals gesteckt. Nur seine danach reflexhaft hochgerissene Rückhand hatte sie zu Boden gestreckt.
Von dort sah sie, wie er in die Knie ging und mit erstaunten Händen seinen Hals betastete, dann einen Arm nach hinten warf, um seinen Sturz abzufangen, aber hinfiel und mit einem Fuß Blätter aufwirbelte. Schließlich drehte er sich zu ihr, spuckte Blut und sah sie mit weit aufgerissenen, glänzenden Augen flehentlich an.
»Guh… g-guh… «
Der Scylvendi hockte sich über ihn und zog ihm ungerührt das Messer aus dem Hals. Dann erhob er sich und war sich des aus der Wunde schießenden Blutes anscheinend nicht bewusst, das ihm zunächst noch Bauch und Hüften netzte, dann aber nur noch an seine gebräunten Knie und Unterschenkel schlug. Zwischen den Beinen des Scylvendi hindurch beobachtete der Sterbende Serwë noch, als seine Augen schon glasig wurden.
Nun baute sich Cnaiür bedrohlich vor ihr auf. Er hatte breite Schultern und schmale Hüften, und seine langen Arme, zwischen deren zahlreichen Narben manch kräftige Ader verlief, wirkten wie gemeißelt. Um seine verschwitzten Hüften hing ihm ein Lendenschurz aus Wolfsfell. Einen Moment lang verließen Serwë panische Angst und Hass. Dieser Mann hatte sie vor Erniedrigung bewahrt, vielleicht sogar vor dem Tod.
Doch das konnte die Erinnerung an seine Brutalität nicht zum Schweigen bringen, und sogleich bekam die wilde Pracht seiner Gestalt wieder etwas Ausgehungertes und wirkte so unheimlich wie gestört.
Und er würde sie immer spüren lassen, sie gerettet zu haben.
Jetzt legte er ihr die linke Hand um die Kehle, riss sie so wüst vom Boden hoch, dass sie würgen musste, und schleuderte sie gegen einen Baumstamm. In der Rechten schwang er sein Messer, fuchtelte ihr damit drohend vor dem Gesicht herum und hielt es dann gerade lange genug still, damit sie ihre verzerrte
Weitere Kostenlose Bücher