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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Spiegelung auf der blutverschmierten Schneide sehen konnte. Danach drückte er ihr die Messerspitze an die Schläfe. Sie war noch warm. Serwë zuckte bei ihrem Stich zusammen und spürte Blut über die Wange fließen.
    Er funkelte sie so zornig an, dass sie zu schluchzen begann. Diese Augen! Weißblau, eiskalt und ohne jede Barmherzigkeit! Es schien, als läge ein uralter Hass in ihnen…
    »Bitte… Töte mich nicht, bitte!«
    »Dass du den Lauser gewarnt hast, hätte uns beinahe das Leben gekostet, Mädchen«, knurrte er. »Mach so was noch mal, und ich bring dich tatsächlich um. Versuch noch einmal zu fliehen, und ich werde erst Ruhe geben, wenn ich dich abgestochen habe!«
    Nie wieder! Bestimmt nicht … Das verspreche ich dir. Ich werde dich ertragen! Ehrlich!
    Er ließ ihre Kehle los und packte sie am rechten Arm. Im ersten Moment schrak sie in Erwartung einer Ohrfeige zurück. Als die nicht kam, heulte sie los und begann derart zu zittern, dass sie kaum noch zu atmen vermochte. Ihr schien, als wäre der ganze Wald – selbst das Licht, das da und dort durchs Laubwerk fiel, und die Baumstämme, die wie Tempelsäulen wirkten – zum Resonanzraum seines Ärgers geworden. Ich verspreche es.
    Der Scylvendi betrachtete den Mann mit der Narbe im Gesicht, der noch immer leise zuckend am Boden lag.
    »Den hast du erledigt«, meinte er mit belegter Stimme. »Weißt du das?«
    »Ja«, antwortete sie benommen und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen. Mein Gott – was passiert denn jetzt?
    Er schnitt ihr mit dem Messer längs in den Unterarm und fügte ihr damit einen kurzen, aber stechenden Schmerz zu, doch sie biss lieber die Zähne zusammen statt aufzuschreien. »Swazond«, sagte er schroff auf Scylvendisch. »Der Mann, den du getötet hast, ist von dieser Welt abgetreten, Serwë. Er existiert nur noch als Narbe auf deinem Arm. Sie ist also Zeichen seiner Abwesenheit und damit auch Zeichen für all die Empfindungen, die er nicht mehr haben, für all die Taten, die er nicht mehr begehen wird. Damit ist diese Narbe auch ein Zeichen der Last, die du nun trägst.« Er verschmierte ihr Blut auf dem Arm und griff dann nach ihrer Hand.
    »Ich versteh das nicht«, wimmerte sie so erstaunt wie verschreckt. Warum tat er das? War das seine Strafe für sie? Warum hatte er sie bei ihrem Namen genannt?
    Du musst ihn ertragen…
    »Du bist meine Beute, Serwë. Also gehörst du zu meinem Stamm.«
     
     
    Als sie Kellhus auf seinem Lager sah, sprang Serwë vom Pferd des Narbengesichts (das Tier hatte ohnehin am Fluss gescheut) und lief durchs Wasser auf ihn zu. Schon war sie bei ihm und umarmte ihn leidenschaftlich.
    Kräftige Finger kämmten ihr durchs Haar, und sein Herz schlug laut an ihrem Ohr. Er roch nach in der Sonne getrockneten Blättern und fruchtbarem Erdreich. Durch ihre Tränen hörte sie ihn sagen: »Ist ja gut, Kind, ist ja gut. Jetzt bist du in Sicherheit. Bei mir bist du sicher.« Wie sehr seine Stimme der ihres Vaters ähnelte!
    Der Scylvendi kam durch den Fluss geritten und führte Serwës Pferd am Zügel. Als er sich den beiden näherte, schnaubte er laut und verächtlich.
    Das Mädchen sagte nichts, sondern musterte ihn mit bösen Augen. Kellhus war da. Also konnte sie es sich leisten, den Häuptling wieder zu hassen.
    Der Dunyain meinte: »Breng’ato gingis, kutmulta tos phuira.« Obwohl sie kein Scylvendisch konnte, war Serwë sicher, er habe zu Cnaiür gesagt: »Sie gehört dir nicht länger – also lass sie in Ruhe.«
    Der Utemot lachte nur und gab auf Scheyisch zurück: »Dafür haben wir keine Zeit. Die Patrouillen der Kidruhil bestehen normalerweise aus mehr als fünfzig Soldaten, und wir haben nur zwölf Männer umgebracht.«
    Kellhus schob Serwë ein kleines Stück von sich weg und hielt sie fest an den Schultern. Jetzt erst bemerkte sie die Blutspuren auf seiner Hemdbluse und in seinem Bart. »Er hat recht. Wir schweben in großer Gefahr. Jetzt werden sie Jagd auf uns machen.«
    Das Mädchen nickte und begann wieder zu weinen. »Das ist alles meine Schuld, Kellhus!«, schluchzte sie. »Es tut mir so leid… Aber er war doch noch ein Kind. Ich konnte ihn einfach nicht sterben lassen!«
    Cnaiür schnaubte erneut. »Der Lauser hat niemanden gewarnt. Welcher kleine Junge könnte schon einem Dûnyain entkommen?«
    Sie zuckte tief erschrocken zusammen.
    »Was meint er damit?«, wollte sie wissen, doch nun standen auch Kellhus Tränen in den Augen. Nein! Im Geiste sah sie das kleine Kind mit

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