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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Cnaiür erneut, hob die Hand und winkte ihn mit den Fingern heran. »Du hast nichts zu befürchten.«
    Nervös und unsicher erhob sich der Junge aus seinem Versteck hinter den Ästen des umgestürzten Baums…
    »Hau ab!«, schrie Serwë.
    Der Junge floh in den Wald und war nur noch ein paarmal kurz dort zu sehen, wo Sonnenstrahlen durchs Blattwerk bis auf den Boden drangen.
    »Blöde Kühl«, knurrte Cnaiür und spurtete mit gezücktem Messer durch den Fluss. Auch der Dûnyain war aufgesprungen und hetzte dem Scylvendi nach.
    »Kellhus!«, rief Serwë und sah ihn in fliegender Hast im Wald verschwinden. »Lass nicht zu, dass er ihn tötet!«
    Doch plötzlich stockte ihr entsetzt der Atem, und sie spürte mit unerklärlicher Gewissheit, dass auch Kellhus dem Kind ans Leben wollte.
    Du musst ihn ertragen, Serwë.
    Sie war körperlich noch immer angeschlagen und konnte sich deshalb nur mühsam aufrappeln. Kaum stolperte sie ins dunkle Wasser des Flusses, da rutschten ihre nackten Füße schon auf den glitschigen Steinen aus, doch sie kämpfte sich vorwärts und kam erst kurz vor dem anderen Ufer zu Fall. Aber sofort war sie wieder auf den Beinen, wenn auch völlig durchnässt, hetzte über den Uferkies und stürzte sich ins mit Sonnenlicht gesprenkelte Halbdunkel des Unterholzes.
    Sie rannte wie wild geworden, sprang über Farnkraut und am Boden liegende Äste und folgte den flinken Umrissen der beiden Männer immer tiefer in den Wald. Ihre Füße fühlten sich schwerelos an, und die Lungen schienen ihr unerschöpflich. Sie war ganz Atmung und Geschwindigkeit und überwand jedes Hindernis.
    »Bas’tushri!«, hallte es durch den Wald. »Bas’tushri!« Das war der Scylvendi, der nach Kellhus rief. Aber woher?
    Bei einer jungen Esche legte sie erschöpft eine Pause ein, lehnte sich an den Stamm und schnappte nach Luft. Dabei musterte sie den Wald ringsum, hörte in der Ferne jemanden durchs Unterholz preschen, konnte aber nichts Genaues erkennen. Zum ersten Mal seit Wochen war sie allein.
    Ihr war klar, dass sie den Jungen töten würden, wenn sie ihn erwischten – damit er keinem erzählen konnte, was er gesehen hatte. Sie reisten im Geheimen durchs Kaiserreich, weil die Narben, die der Scylvendi an den Armen trug, sie zu Verfolgten hatten werden lassen. Nun aber wurde ihr bewusst, dass sie keine Verfolgte war. Nansur war ihre Heimat – oder immerhin das Land, in das ihr Vater sie verkauft hatte…
    Ich bin zu Hause. Ich brauche ihn nicht zu ertragen.
    Sie stieß sich vom Baum ab und schlug mit leerem Blick und nervös pochendem Herzen einen Weg ein, der im rechten Winkel zu der Richtung lag, in die sie eben noch gelaufen war. Sie ging einige Zeit und hörte nur einmal ein paar schwache Rufe durch die rauschenden Blätter ringsum. Ich bin zu Hause, dachte sie immer wieder. Doch dann wurde sie von Gedanken an Kellhus heimgesucht, die durch Erinnerungen an die Brutalität des Scylvendi merkwürdig beschmutzt schienen. Sie dachte an den Blick des Dunyain und daran, wie er ihr mit zusammengekniffenen Augen mal besorgt, mal ein Lächeln unterdrückend zugehört hatte. Sie dachte daran, wie erregend sie seinen Händedruck gefunden hatte – als habe in dieser bescheidenen Vertraulichkeit ein unglaubliches Versprechen gelegen. Und an das, was er gesagt hatte, an seine Worte, die sie bis ins Tiefste ausgelotet und ihr erbärmliches Leben in ein Porträt von herzzerreißender Schönheit verwandelt hatten.
    Kellhus liebt mich. Er ist der Erste, der das tut.
    Dann betastete sie ihren Bauch und begann zu zittern. Vermutlich waren die anderen Frauen, mit denen zusammen sie von den Munuäti verschleppt worden war, alle tot. Sie trauerte ihnen nicht nach. Ein kleiner, zickiger Teil ihres Wesens hatte sich am Tod der Gaunum-Frauen sogar erfreut, jener Frauen also, die ihr Kind erdrosselt und so erst zu einem blauen Baby gemacht hatten. Doch wohin sie sich im Kaiserreich auch wenden würde – überall würde sie auf Frauen vom Schlage derer treffen, die im Haus Gaunum ihr Kind getötet hatten. Das war ihr völlig klar.
    Serwë war sich ihrer Schönheit stets deutlich bewusst gewesen und hatte sie, als sie noch bei den Nymbricani gelebt hatte, eine Zeitlang für ein großes Geschenk der Götter gehalten – für eine Gewähr dafür, dass ihr künftiger Ehemann viele Rinder besitzen würde. Doch hier im Kaiserreich sicherte die Schönheit ihr allenfalls ein Leben als verhätschelte Konkubine, die von einigen Frauen des Hausherrn

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