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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Wasser halten mochte, ließ Achamian schaudern. Eine Woche zuvor war er von einem Betrunkenen angesprochen worden, der nach Art des Adels geschminkt war, dessen Make-up aber schon Federn gelassen hatte. Dieser Fremde hatte sich doch tatsächlich in den Schritt gegriffen und dabei gefragt, ob er seinen süßen Granatapfel gesehen habe.
    Achamian weckte das Kind vorsichtig mit der Spitze seines Kaufmannsschuhs. Der Junge sprang geradezu auf die Beine.
    »Weißt du noch, was ich dir beigebracht habe, Chiki?«
    Der Junge sah ihn mit der bloß vorgetäuschten Geistesgegenwart des gerade aus dem Schlaf Geschreckten an. »Ja, Herr. Ich bin Euer Laufbursche.«
    »Und was tun Laufburschen?«
    »Sie übermitteln Botschaften, Herr. Geheime Botschaften.«
    »Gut«, sagte Achamian und hielt dem Jungen das gefaltete Pergament hin. »Das bringst du einem Mann namens Geshrunni. Nicht vergessen: Geshrunni. Du kannst ihn nicht verfehlen. Er ist Hauptmann bei den Javreh und geht abends oft in den Heiligen Aussätzigen. Kennst du die Taverne? Findest du hin?«
    »Ja, Herr.«
    Achamian nahm einen Silber-Ensolarius aus seiner Börse. Als er die ehrfürchtige Miene des Jungen sah, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Chiki griff so schnell nach der Münze auf Achamians Handfläche, als läge sie in einer Falle. Die Berührung der kleinen Finger stimmte den Hexenmeister traurig.

2. Kapitel
     
    ATYERSUS
     
     
     
    Ich schreibe, um euch mitzuteilen, dass der Kaiser von Nansur mich während der letzten Audienz aus heiterem Himmel öffentlich einen Narren genannt hat. Das wird euch sicher nicht weiter beunruhigen, denn derlei geschieht inzwischen dauernd. Die Rathgeber entziehen sich uns perfekter denn je. Nur in den Geheimnissen anderer sind sie für uns noch mittelbar gegenwärtig. Wir nehmen sie nur durch die Augen derer mitunter noch flüchtig wahr, die ihre Existenz rundheraus abstreiten. Warum sollte man uns da nicht Narren schimpfen? Je besser sich die Rathgeber unter den Großen Gruppen verstecken, desto wahnwitziger erscheinen deren Mitgliedern unsere Warnungen. Wir sind – wie die Nansur sagen würden – »Jäger im Unterholz«, Verfolger also, die mit jeder Bewegung so viel Unruhe verbreiten, dass sie das Wild in weitem Umkreis verscheuchen.
     
    Aus einem Brief eines unbekannten Mitglieds des
    Mandati-Ordens nach Atyersus

ATYERSUS IM VORFRÜHLING 4110
     
    Nach Hause zurückbeordert, dachte Achamian und empfand die Vorstellung; Atyersus sei sein Zuhause, als bittere Ironie. Er kannte wenige Orte, die herzloser waren – Golgotterath sicher, vielleicht auch Carythusal mit seinen Scharlachspitzen.
    Achamian stand klein und allein mitten im Audienzsaal und bemühte sich, nicht aus der Rolle zu fallen. Die Mitglieder des Quorums – des Regierenden Rats der Mandati – standen in kleinen Grüppchen im Halbdunkel und musterten ihn skeptisch. Sie sahen einen stämmigen Mann im schlichten braunen Reisekleid vor sich, dessen kantiger Bart silberne Strähnen hatte. Diese Gestalt würde den robusten Eindruck eines Menschen vermitteln, der Jahre auf der Straße verbracht hatte, und sein lässiges Auftreten und seine gebräunte, ledrige Haut würden auf einen Arbeiter aus der Unterschicht hindeuten. An einen Hexenmeister würde er nicht im mindesten erinnern.
    Und so gehörte es sich ja wohl auch für einen Kundschafter.
    Inzwischen gingen Achamian die taxierenden Blicke auf die Nerven, und er konnte nur knapp die Frage unterdrücken, ob sie nicht auch – wie gewissenhafte Sklavenhalter – sein Gebiss prüfen wollten.
    Endlich wieder daheim…
    Atyersus, die Zitadelle des Mandati-Ordens, war sein Zuhause und würde es immer bleiben, auch wenn er sich hier merkwürdig klein fühlte. Das lag nicht nur an der pompösen Architektur: Atyersus war nach Vorbildern aus dem Alten Norden errichtet, dessen Architekten Bögen und Gewölbe unbekannt gewesen waren. Die im Innern der Zitadelle gelegenen Kolonnaden bildeten wahre Säulenwälder, unter deren Decken sich Dunkelheit und Rauch stauten. Jeder Pfeiler war mit stilisierten Reliefs übersät und lieferte dem Licht der Kohlenbecken für Achamians Geschmack zu viele Details, denn im Widerschein all der gemeißelten Einzelheiten schien der Boden bei jedem Flackern der Flammen zu schwanken.
    Schließlich sprach ihn ein Mitglied des Quorums an: »Wir dürfen die Tausend Tempel nicht länger ignorieren, Achamian, denn nun hat sich Maithanet ihres Throns bemächtigt und sich zum Shriah

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