Schattenfall
gebracht worden war, so bezeichnet. »Schneidet ihnen die Zunge ab«, hieß es dort, »denn sie lästern Gott auf beispiellose Weise.« Achamians Vater – der die Mandati (wie viele Nroni) wegen der despotischen Gängelung der Insel verachtet hatte – hatte diesen Glauben in seinen Sohn geprügelt. Zwar hatte Achamian sich davon längst distanziert, an die Schläge aber würde er sich sein Leben lang erinnern.
»Davon habe ich aber nichts gehört«, sagte er nun.
Der alte Mann beugte sich vor. Sein gefärbter Bart war so kantig geschnitten wie der Achamians, aber peinlich genau nach Art der östlichen Ketyai geflochten. Der Kontrast von altem Gesicht und dunklem Haar beeindruckte Achamian sehr.
»Wie denn auch? Du warst ja in Ainon! Welcher Priester würde Hexerei bei Leuten anprangern, die von den Scharlachspitzen beherrscht werden?«
Achamian warf dem alten Hexenmeister einen zornigen Blick zu.
»Aber gerade damit wäre doch zu rechnen gewesen!« Plötzlich fand er die ganze Idee absurd. So was passiert anderen, und gewiss nicht heutzutage. »Ihr sagt, dieser Maithanet sei gerissen. Seine Macht würde er doch am besten dadurch sichern, Hass auf die zu stiften, die der Stoßzahn verdammt hat?«
»Das stimmt natürlich.« Die Art, wie Nautzera die Einwände anderer anzuerkennen pflegte, konnte einen rasend machen. »Doch es gibt einen viel beunruhigenderen Grund, anzunehmen, dass er eher uns als den Fanim den Krieg erklären wird…«
»Nämlich?«
»Nämlich den, Achamian«, antwortete nun ein anderer als Nautzera, »dass ein Heiliger Krieg gegen die Fanim nie und nimmer Erfolg hätte.«
Achamian spähte ins Dunkel zwischen den Säulen und erkannte Simas, dessen schneeweißen Bart ein ironisches Lächeln teilte. Über seinem blauen Seidengewand trug er ein graues Ornat und war so schon rein äußerlich ganz das ruhige Gegenteil von Nautzeras boshaft-provokanter Art.
»Wie war deine Reise?«, fragte er nun.
»Die Träume waren ausgesprochen schlimm«, gab Achamian zurück und war ein wenig verblüfft über den abrupten Wechsel vom harten Debattenton zum Austausch von Höflichkeiten. Zu einer Zeit, die ihn inzwischen so fern wie ein anderes Leben anmutete, war Simas sein Lehrer gewesen – derjenige, der dem Sohn eines Nroni-Fischers durch die wahnwitzigen Offenbarungen der Mandati die intellektuelle Unschuld geraubt hatte. Seit Jahren hatten sie einander nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesprochen, da Achamian lange im Ausland gewesen war, doch die lässige Art und die Fähigkeit, floskellos und ohne Rücksicht auf steife Konventionen miteinander zu reden, war ihnen geblieben. »Was willst du damit sagen, Simas? Warum wäre ein Heiliger Krieg gegen die Fanim nicht zu gewinnen?«
»Wegen der Cishaurim.«
Schon wieder die Cishaurim.
»Ich fürchte, da komm ich nicht mit, mein alter Lehrer. Es wäre für die Inrithi doch viel leichter, nicht gegen alle Orden auf einmal zu kämpfen, sondern nur gegen Kian, gegen eine Nation also, in der nur ein Orden vertreten ist – falls man die Cishaurim überhaupt einen Orden nennen kann.«
Simas nickte. »Vordergründig ja. Aber denk mal nach, Achamian. Wir schätzen, die Tausend Tempel besitzen etwa vier- bis fünftausend Chorae, verfügen also über mindestens ebenso viele Parteigänger, die gegen all unsere Hexenkünste immun sind. Wenn du zu denen noch alle adligen Inrithi zählst, die auch Anhänger bei sich tragen, dann kann Maithanet eine Armee von etwa zehntausend Mann aufbieten, denen wir in keiner Weise etwas anhaben könnten.«
Im Gebiet der Drei Meere waren die Chorae eine entscheidende Größe in der Algebra des Krieges. In vieler Hinsicht waren die Ordensleute wie Götter, jedenfalls im Vergleich zur breiten Masse. Nur die Chorae verhinderten, dass die Orden die Drei Meere völlig dominierten.
»Sicher«, gab Achamian zurück, »doch Maithanet könnte diese Männer genauso gut gegen die Cishaurim ins Treffen führen. Wie anders sie auch sein mögen – hinsichtlich ihrer Verletzbarkeit jedenfalls gleichen sie uns anscheinend.«
»Könnte er das wirklich?«
»Warum denn nicht?«
»Weil zwischen Maithanets zehntausend Mann und den Cishaurim das ganze Heer von Kian stünde. Die Cishaurim sind kein von der Welt abgeschlossener, auf sich selbst bezogener Orden, alter Freund. Sie stehen – anders als wir – nicht abseits vom Glauben der Einwohner ihres Landes. Maithanets als Heiliger Krieg verbrämter Angriff würde auf den erbitterten
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