Schattenfall
erklärt, zum Tempelvorsteher.« Natürlich war es wieder Nautzera gewesen, der die Stille gebrochen hatte – der Letzte, den Achamian sprechen hören wollte.
»Davon habe ich nur gerüchteweise erfahren«, gab er gemessen zurück, also in dem Ton, den die Leute stets anschlugen, wenn Nautzera sie ansprach.
»Glaub mir«, sagte der griesgrämig, »diese Gerüchte werden dem Mann kaum gerecht.«
»Aber wie lange kann er sich halten?« Eine naheliegende Frage. Viele Vorsteher hatten das Steuer der Tausend Tempel mit großen Plänen übernommen und bald einsehen müssen, dass sie es nicht herumreißen konnten, da die Tempel – wie ein riesiges Schiff – zu träge auf Kurskorrekturen reagierten.
»Bis jetzt jedenfalls hält er sich gut«, sagte Nautzera. »Es geht ihm sogar bestens. Vertreter aller Kulte in Sumna sind gekommen und haben ihm das Knie geküsst. Der Machtwechsel hat sich ganz ohne die sonst üblichen politischen Manöver und Intrigen abgespielt. Auch ohne kleinliche Boykottmaßnahmen. Bei seiner Wahl gab es keine einzige Enthaltung.« Er hielt inne, um Achamian Zeit zu geben, sich der Tragweite dieser Mitteilungen bewusst zu werden. »Er hat etwas angezettelt« – der großgewachsene alte Hexenmeister schürzte die Lippen, als wollte er die nächsten Worte wie einen gefährlichen Hund an die Leine nehmen – »etwas Neues… das weit über die Tausend Tempel hinauswirkt.«
»Aber Leute seiner Sorte kennen wir doch«, wagte Achamian einzuwerfen. »Das sind Fanatiker, die in der einen Hand ein Präsent namens Erlösung halten, um die Aufmerksamkeit von der Peitsche abzulenken, die sie in der anderen haben. Früher oder später bemerkt jeder die Zuchtrute.«
»Nein, diese ›Sorte‹ kennen wir noch nicht. Keiner war so schnell und so gerissen. Maithanet ist kein bloßer Enthusiast. In den ersten drei Wochen seiner Amtszeit wurden zwei Versuche aufgedeckt, ihn zu vergiften – und zwar von Maithanet selbst! Nicht weniger als sieben Agenten des Kaisers wurden in Sumna enttarnt und hingerichtet. Dieser Mann ist mehr als nur geschickt, sehr viel mehr.«
Achamian nickte und runzelte die Brauen. Jetzt begriff er, warum man ihn so dringlich einbestellt hatte. Die Mächtigen verabscheuen vor allem Veränderungen. Die Großen Gruppen hatten für die Tausend Tempel und ihren Vorsteher einen bestimmten Platz vorgesehen. Doch Maithanet hatte ihnen – wie die Nroni sagen würden – in die Suppe gespuckt. Was aber noch beunruhigender war: Er hatte es auf intelligente Weise getan.
»Es wird einen Heiligen Krieg geben«, sagte Nautzera nun.
Fassungslos musterte Achamian die dunklen Silhouetten der übrigen Mitglieder des Quorums auf eine Reaktion. »Das ist doch wohl ein Witz?«
Nautzera kam aus dem Halbdunkel geschritten und blieb erst unmittelbar vor Achamian stehen, der nur mit Mühe dem Drang widerstand, zurückzuweichen. Der alte Hexenmeister hatte eine beunruhigend ambivalente Ausstrahlung: einschüchternd ob seiner Körpergroße, aber mitleiderregend, weil er steinalt war. Seine Haut schien eine Beleidigung all der kostbaren Seiden, die ihn umhüllten.
»Das ist mit Sicherheit kein Witz.«
»Und gegen wen? Gegen die Fanim?« In ihrer Geschichte hatten die Länder rund um die Drei Meere erst zwei Heilige Kriege erlebt, die beide eher gegen die Orden als gegen die Heiden gerichtet gewesen waren. Der letzte Feldzug – der sogenannte Ordenskrieg – hatte für beide Seiten verheerend geendet. Atyersus selbst war sieben Jahre lang belagert gewesen.
»Das wissen wir nicht. Bis jetzt hat Maithanet nur erklärt, es werde einen Heiligen Krieg geben. Er hat sich nicht dazu herabgelassen, jemandem mitzuteilen, gegen wen. Wie gesagt – er ist verteufelt gerissen.«
»Und ihr fürchtet nun einen neuen Ordenskrieg?« Achamian konnte kaum glauben, dass sich diese Unterhaltung tatsächlich abspielte. Natürlich hätte ihn die Möglichkeit eines zweiten Ordenskriegs entsetzen sollen, stattdessen aber klopfte sein Herz vor Begeisterung. War es so weit mit ihm gekommen? War er der vergeblichen Mission der Mandati inzwischen so müde, dass er die Aussicht auf einen Krieg gegen die Inrithi als perverse Form von Abwechslung begrüßte?
»Genau das fürchten wir. Wieder prangern uns die Kultpriester öffentlich an und bezeichnen uns als unrein.«
Unrein! In der Chronik des Stoßzahns, die den Tausend Tempeln als lauteres Gotteswort galt, wurden jene Wenigen, deren Talent zur Hexerei durch ein hartes Studium zur Reife
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