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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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rief Cnaiür aufgebracht. »Hast du nicht gesehen, wen er alles dabei hat? Die beste Reiterei, die Hilfstruppen der Norsirai, fast alle Kolonnen des Heeres und sogar einen Teil der Kaiserlichen Garde! Für diesen Feldzug wurden so viele Soldaten mobilisiert, dass das Reich praktisch ungeschützt ist. Da müssen Verträge ausgehandelt und wahre Vermögen versprochen und verbraucht worden sein. Das ist eine Eroberungsarmee, kein Leichenzug für…«
    »Frag die Geschichtssänger!«, raunzte Xunnurit. »Frühere Kaiser haben mindestens genauso hohe Opfer gebracht – da musste halt auch Xerius seinen Neffen mit einem schlagkräftigen Heer ködern!«
    »Und du meinst, die Utemot haben keine Ahnung vom Kaiserreich?
    Nansur wird bedrängt und belagert und kann es sich kaum leisten, auch nur einen Bruchteil eines so gut ausgerüsteten Heeres zu verlieren!«
    Xunnurit beugte sich im Sattel vor und hob drohend die Faust. Seine Brauen waren über funkelnden Augen zusammengerückt. »Genau deshalb sollten wir dieses Heer jetzt vernichten! Danach haben wir freie Bahn bis ans Meer – wie unsere Väter in alter Zeit! Wir reißen ihre Tempel ein, schwängern ihre Töchter und metzeln ihre Söhne nieder!«
    Die zustimmenden Rufe, die durch die Morgenluft hallten, beunruhigten Cnaiür, und er brachte die Männer mit einem furchterregenden Blick zum Schweigen. »Seid ihr denn allesamt tölpelhafte Saufnasen? Genau deshalb sollten wir das Heer der Nansur doch zappeln und schmachten lassen! Was würde Conphas wohl tun, wenn er unter uns wäre? Was…«
    »Mein Schwert würde er sich aus dem Hintern ziehen!«, rief einer und brachte damit alle herzlich zum Lachen.
    Da spürte Cnaiür sie wieder, die gutgelaunte Kameraderie, die eigentlich nur darauf wartete, sich immer aufs Neue über ein und denselben lustig zu machen. Er verzog die Lippen. Es war immer das Gleiche, egal, ob er an ihre Intelligenz appellierte oder um Waffenhilfe bat. Sie hatten ihn vor vielen Jahren gewogen – und für zu leicht befunden.
    Doch das Gewogenwerden höret nimmer auf …
    »Nein!«, rief Cnaiür. »Er würde über euch lachen wie ihr über mich! Und sagen: Hunden muss man den Willen brechen, und ich kenne diese Hunde – besser als sie sich selbst!« Etwas Schwermütiges, das er sich zu unterdrücken mühte, hatte sich in seine Stimme und seinen Gesichtsausdruck geschlichen. »Hört mir gut zu! Conphas hat genau auf diesen Verlauf unserer Beratung gesetzt – auf unsere Überheblichkeit, auf unser… eingefahrenes Denken. Er hat getan, was er konnte, um uns zu provozieren! Begreift ihr denn nicht? Ob seine Strategie aufgeht, liegt allein an uns. Und wir können ihn alt aussehen lassen, indem wir genau das tun, wovor ihm graut und was er unbedingt verhindern will – indem wir also so lange warten, bis schließlich er uns angreift!«
    Xunnurit hatte ihn aufmerksam und mit vor hämischem Vergnügen blitzenden Augen beobachtet. Jetzt lächelte er verächtlich. »Man nennt dich ›Cnaiür den Totschläger‹, weil du ein bravouröser Krieger bist und die Lust am Gemetzel nie verlierst. Ach, Utemot…« – er schüttelte missbilligend den Kopf – »… wo ist sie hin, diese schöne Lust? Sollen wir dich jetzt etwa den Zeittotschläger nennen?«
    Erneut brach derbes Gelächter los, das aus tiefster Kehle kam und Cnaiür fürchten ließ, es reiße ihm das Herz aus dem Leib. Es klang zwar zunächst nach dem ehrlichen Lachen einfacher Leute, war aber doch von einer widerlichen Schadenfreude durchdrungen und gemahnte an das unbändige Vergnügen, das allzu gewöhnliche Menschen bei der Erniedrigung eines überlegenen Einzelnen empfinden. Cnaiür dröhnten die Ohren. Himmel und Erde schrumpften, bis die Welt nur noch aus lachenden Gesichtern mit gelben Zähnen bestand. Er spürte sie in sich toben, seine zweite Seele, die die Sonne verdüsterte und die Erde in Blut schwimmen ließ. Seine drohende Miene brachte ihr Gelächter zum Verstummen, und sein zorniger Blick fegte ihnen selbst das letzte Grinsen aus dem Gesicht.
    »Morgen«, verkündete Xunnurit und wendete seinen Rotschimmel dabei mit nervösem Ruck wieder zum in der Ferne liegenden Lager der Nansur, »morgen opfern wir dem Totengott ein Volk und schlachten ein Reich!«
    Schweigend saßen unzählige Reiter im hölzernen Sattel und schaukelten sanft im Rhythmus der Schritt gehenden Pferde durchs kalte, unter grauem Morgentau liegende Grasland. Beinahe acht Jahre waren seit der Schlacht von Zirkirta

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