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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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und er hatte Mühe, sich nicht zu übergeben.
    »Klar«, sagte die erste Stimme freundlich. »Wer braucht schon Gold nach so einem Tag? Stellt euch mal den Triumphzug vor, wenn wir heimkehren! Und die Lieder, mit denen man diese Schlacht besingen wird! Wahnsinn! Die Scylvendi – im eigenen Land besiegt. Die Scylvendi! Wenn wir alt sind, brauchen wir nur zu sagen, dass wir mit Conphas am Kiyuth gekämpft haben, und alle werden uns mit Ehrfurcht und Respekt begegnen.«
    »Mit Ruhm bringst du’s nicht weit, Junge – Gold und Glanz, darauf kommt’s an.«
     
     
    Als Cnaiür zitternd erwachte, war es Morgen. Das Einzige, was er hörte, war das Rauschen des Kiyuth.
    Ein bohrender Schmerz strahlte von seinem Hinterkopf aus. Er blieb eine Zeitlang reglos liegen, bis ihn Krämpfe schüttelten und er Galle in die Fußspuren vor sich erbrach. Dann hustete er und spürte mit der Zunge ein weiches, salziges Loch zwischen den Zähnen.
    Der erste Gedanke, den er in seinem Elend fassen konnte, galt seinem Chorum. Kaum hatte er begonnen, mit den Fingern in Matsch und Erbrochenem zu scharren, hatte er den Anhänger gefunden und schob ihn unter seinen Waffengurt.
    Der gehört mir. Das ist mein Lohn.
    Obwohl sein Kopfschmerz so groß war, dass Cnaiür dachte, er habe einen Huftritt abbekommen, konnte er sich auf alle viere kämpfen und sich ein Stück vom Fluss wegschleppen.
    Das vormals grasbewachsene Ufer war zu einer schlammigen Fläche zertreten, die inzwischen wieder gehärtet war und eine bröcklige Erinnerung des zurückliegenden Gemetzels bewahrte. Die Leichen schienen in den Boden zementiert. Wenn man die Fliegen verjagte, war ledern gewordenes Fleisch zu sehen – und geronnenes Blut, das an zerquetschte Kirschen erinnerte. Cnaiür fühlte sich, als kröche er über eines der schwindelerregenden Steinreliefs, mit denen die Tempel der Nansur getäfelt waren und auf denen in Posen erstarrte Kämpfer auf ein System profaner Bedeutungen verwiesen. Doch was Cnaiür hier erlebte, hatte keinen verweisenden Charakter.
    Je höher er sich den nahen Hang hinaufschleppte, desto deutlicher konnte er auf der Kuppe ein totes Pferd erkennen, das ihm mit seinem im Schatten liegenden Bauch und der hinter seinem Rücken aufgehenden Sonne immer mehr wie ein abgerundeter Gebirgszug erschien. Tote Pferde sahen stets lächerlich steif aus – wie aus Holz geschnitzt und auf die Seite geworfen. Er wuchtete sich auf den Kadaver und ließ sich unter Schmerzen auf der anderen Seite abrollen. Als er das Tier mit der Wange berührte, war es kalt wie der Lehm am Fluss.
    Von Dohlen, Geiern und Leichen abgesehen, war das Schlachtfeld verlassen. Er musterte den sanften Hang, über den er tags zuvor geflohen war.
    Geflohen… Er krampfte die Augen zu. Wieder und wieder sah er sich rennen und den Himmel im Gewühl ringsum verschwinden.
    Wir sind in die Flucht geschlagen worden.
    Sie waren besiegt. Ihr alter Feind hatte sie gedemütigt.
    Lange spürte er nichts, sondern dachte an die Tage seiner Jugend, da er im Morgengrauen erwacht und sich erst aus der Hütte, dann aus dem Lager geschlichen hatte, um in die Hügel zu gehen und von dort dem Sonnenaufgang zuzusehen. Wenn dann der Wind durchs hohe Gras strich und die Sonne über den Horizont stieg und langsam Höhe gewann, hatte er jedes Mal gedacht: Ich bin der Einzige und Letzte.
    Genau wie jetzt.
    Einen schrägen Augenblick lang spürte er die seltsame Euphorie eines Menschen, der seinen eigenen Untergang erfolgreich prophezeit hat: Er hatte es Xunnurit, diesem achtfingrigen Schwachkopf, ja gesagt, sie aber hatten ihn als altes Weib verspottet, das absurde Ängste in die Welt setzt. Nun war ihnen das Lachen vergangen.
    Sie alle waren tot. Allesamt. Dabei waren sie einmal so viele gewesen, dass ihre Scharen bis an den Horizont gereicht und das Himmelsgewölbe beim berittenen Vorpreschen zum Zittern gebracht hatten. Vorbei – für immer vorbei. Von dort, wo er lag, konnte Cnaiür das weiträumig verbrannte Grasland und die verkohlten Reste derer überblicken, die einmal Tausende von überheblichen Kriegern gewesen waren. Nein, sie waren mehr als besiegt – sie waren ausgelöscht worden.
    Und das von den Nansur! Cnaiür hatte sich zu viele Grenzscharmützel mit ihnen geliefert, als dass er ihre soldatischen Fähigkeiten hätte in Abrede stellen können, doch letztlich verachtete er sie, wie die Scylvendi sie immer verachtet hatten: als eine Art menschliches Ungeziefer, das es nach Möglichkeit auszurotten

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