Schattenfeuer
fiel im Verlauf einer Mission, bei der es um die Befreiung einiger amerikanischer Gefangener ging, und als Ersatz für ihn stieß Anson Sharp zu der Gruppe.
Sharp war Ben auf Anhieb unsympathisch. Es handelte sich um eine instinktive Reaktion, denn zunächst schien mit
ihm im großen und ganzen alles in Ordnung zu sein. Anson konnte es zwar nicht mit Mendoza aufnehmen, aber er stellte sich trotzdem als recht kompetenter Mann heraus. Im Ge gensatz zu den meisten anderen Soldaten nahm er keine Drogen und hielt auch nichts von Alkohol. Vielleicht genoß er seine Macht zu sehr und sprang mit den Männern unter ihm zu hart um. Wenn er von Frauen sprach, machte er deutlich, daß er nicht allzuviel von ihnen hielt -eigentlich kaum mehr als das übliche Gerede von manchen Männern. Zuerst hatte Ben das nicht zum Anlaß genommen, sich Sorgen zu machen. Hinzu kam noch etwas anderes. Sharp gehörte immer zu den ersten, die von einem Angriff auf den Feind abrieten, und wenn es zu einem Kampf kam, war er bei den geringsten Schwierigkeiten bereit, sofort zum Rückzug zu blasen. Während der ersten Tage und Wochen genügte das jedoch nicht, um ihn zu einem Feigling zu stempeln. Dennoch wurde Ben wachsam und argwöhnisch - und fühlte sich deshalb schuldig, weil er keinen konkreten Grund sah, Sharp zu mißtrauen.
Sharps Mangel an Überzeugung weckte besonderes Unbehagen in Ben. Anson schien in Hinsicht auf die Dinge, die seine Altersgenossen bewegten, keine eigene Meinung zu haben, vertrat immer einen völlig neutralen -und gleichgültigen -Standpunkt. Er war weder für noch gegen den Krieg. Es kümmerte ihn nicht, wer gewann, und er machte keinen Unterschied zwischen dem korrupten Süden und dem totalitären Norden. Er hatte sich in der Marine verpflichtet, um nicht zum Heer eingezogen zu werden, verspürte nicht den Ledernacken-Stolz seiner Kameraden. Er strebte eine militärische Karriere an, aber seine Motive bestanden nicht etwa aus Pflichtbewußtsein oder Vaterlandsliebe. Es kam ihm einzig und allein darauf an, möglichst schnell befördert zu werden, eine einflußreiche Position einzunehmen und sich in etwa zwanzig Jahren vorzeitig in den Ruhestand zurückzuziehen -mit einer guten Pension. Er konnte stundenlang über Pensionen und Rentenzuschläge sprechen.
Er interessierte sich nicht für Musik, Kunst, Bücher, Sport,
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Jagen und Fischen -nur für sich selbst. Im Zentrum seiner Welt stand nur Anson Sharp. Er war nicht in dem Sinne ein Hypochonder, achtete jedoch mit spezieller Aufmerksamkeit auf seinen Gesundheitszustand und schilderte ausschweifend Verdauungsprobleme und imaginäre Schwierigkeiten beim morgendlichen Stuhlgang. Jemand anders hätte einfach gesagt: »Ich habe rasende Kopfschmerzen.« Doch wenn Anson Sharp ein solches Leiden zu beklagen hatte, beschrieb er mit mindestens zweihundert Worten detailliert Ausmaß und Art des Schmerzes. Er verbrachte viel Zeit damit, sich das Haar zu kämmen, schaffte es sogar unter Ge fechtsbedingungen, immer tadellos rasiert zu sein. Er betrachtete sich gern im Spiegel und legte großen Wert auf Bequemlichkeit.
Es fiel schwer, einen Mann zu mögen, der nur sich selbst mochte.
Anson Sharp war weder gut noch schlecht gewesen, als er sich auf den Weg nach Vietnam machte - nur einfach langweilig und egozentrisch -, doch der Krieg formte den weichen Ton seiner Persönlichkeit und verwandelte ihn nach und nach in ein Ungeheuer. Es dauerte nicht lange, bis Ben von Gerüchten hörte, die besagten, Anson nehme an umfangreichen Schwarzmarktgeschäften teil, und bei einem kurz darauf eingeleiteten Ermittlungsverfahren fanden sich Beweise für eine erstaunliche kriminelle Karriere. Sharp unterschlug Nachschubmaterial für einzelne Truppenteile und verschacherte es an Hehler, die zur Unterwelt Saigons gehörten. Weitere Untersuchungen ergaben, daß Sharp zwar weder Drogen konsumierte noch direkt verkaufte, aber den Rauschgifthandel zwischen der vietnamesischen Mafia und den US-Soldaten zumindest erleichterte. Doch damit nicht genug: Wie Ben feststellte, hatte Sharp mit einem Teil der Einnahmen aus seinen illegalen Geschäften eine Absteige im verrufensten Viertel Saigons gekauft und beschäftigte dort einen üblen vietnamesischen Schläger, der ihm als eine Mischung aus Hausdiener und Kerkermeister diente und ein elfjähriges Mädchen namens M ai Van Trang bewachte.
Es führte das Leben einer Sklavin, und Sharp vergewaltigte es bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit. Das
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