Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
mehr Tote, insgesamt fast zwanzig Stück, auch sie erschossen. Ein paar von ihnen trugen ihre Waffen noch auf dem Rücken, ein Zeichen dafür, dass das, was hier passiert war,
schnell
passiert war.
Dann fand er doch noch einen Überlebenden, einen jungen Mann von vielleicht zwanzig Jahren, der auf dem Boden saß und an dem Stamm einer Fichte lehnte. Eingetrocknetes Blut klebte an seinem Mundwinkel und seinen Nasenlöchern, seine blaue Jacke hatte einen schwarzen runden Blutfleck auf der rechten Brustseite. Sein Atem kam rasselnd und schnell, sein Gesicht wartotenblass von Blutverlust und Schock. Mickey ging vor ihm in die Hocke.
»Wie kann ich dir helfen?«, fragte er in seinem besten Russisch.
Der Junge schien keinen Gedanken darüber zu verlieren, wer Mickey war oder woher er kam. »Sag meiner Mutter …«, keuchte er und bewies damit, dass ihm durchaus klar war, dass ihm der Tod bevorstand, »… sag ihr, dass … dass es mir gut geht …«
Mickey nickte ernst und log mit theatralischer Stimme: »Das werde ich.« Er drückte die Hand des Jungen, ein lebloses, fleischiges Ding, von kaltem Schweiß überzogen. »Weißt du, wer das hier angerichtet hat?«
»Nils hat gesagt … es sind Soldaten …« Das Sprechen machte ihm Mühe, die Pausen zwischen seinen Worten wurden länger und häufiger. »Aber ich habe … ich habe sie gesehen … Es waren … Männer … mit Bärten … keine Uniformen …«
Bärte klangen nicht nach Militär und auch nicht nach Polizisten eines Sondereinsatzkommandos. Es ließ zwei Schlüsse zu, einer so unangenehm wie der andere. Der eine bedeutete germanische Hexer. Der andere bedeutete Rattenmenschen.
»Boss?«
Mickey wandte sich zu Spider um, der den Pfad entlanggelaufen kam. »Ja?«
»Das hier muss der Hinterhalt gewesen sein, von dem uns Irish über Funk erzählt hat«, erklärte der Albino. »Die meisten der Toten haben keine Zeit gehabt, auch nur einen einzigen Schuss auf ihre Angreifer abzugeben.«
»Germanen oder Rattenmenschen«, erwiderte Mickey.
Spider zog eine Augenbraue nach oben, fragte aber nicht nach. Stattdessen deutete er nach Süden und meinte: »Sie sind in diese Richtung gegangen.«
»Gut.« Mickey stand auf. »Dann müssen wir auch dorthin.« Eilig schlüpfte er aus seiner Jacke und nahm wieder die Kampfgestalt an.
Sie ließen den sterbenden Jungen zurück und liefen weiter. Mit seinen magisch geschärften Sinnen fiel es Mickey leicht, den Pfadzu finden, auf dem in dieser Nacht schon Hunderte von Menschen unterwegs gewesen waren. Ihre Stiefel hatten den feuchten Waldboden aufgeweicht und zu Schlamm werden lassen, in dem es unmöglich war, einzelne Spuren zu verfolgen.
Das Wetter wurde weiterhin schlechter. Der Sturm hatte mit dem nahenden Gewitter nun auch Regen herangetragen, der nur zum Teil von den Bäumen abgefangen wurde. Grollender Donner rückte immer näher und weckte in Mickey das Gefühl des Unheils. Seine Angst wuchs mit jedem Schritt, und es fiel ihm zunehmend schwerer, dies vor seinen Rudelgefährten zu verbergen.
Etwa eine halbe Stunde später erreichten sie einen einzeln stehenden Felsen, an dem sich der Pfad aufteilte. Eine Spur wandte sich nach Westen, die andere führte um den Felsen herum und von dort weiter nach Osten. In beiden Richtungen war der Pfad ausgetreten und matschig. Mickey hielt inne und versuchte, den richtigen Weg zu erschnuppern.
In diesem Moment kam im Westen erneut Kampfeslärm auf, zuerst ein paar vereinzelte Schüsse, dann ganze Salven und sogar vereinzelte dumpfe Detonationen. Eine rot glühende Leuchtkugel erhob sich über die Bäume und erlosch im Unwetter sogleich wieder. Kurz darauf folgten zwei weitere.
»Was tun wir?«, fragte Armstrong mit heiserer Stimme.
»Im Westen kämpft Irishs Rudel!«, erklärte Spider und wollte damit ausdrücken:
Wir gehen nach Westen.
Doch Mickey hatte andere Pläne. »Osten«, erklärte er und machte sich auf den Weg.
»Wieso Osten?«, rief ihm Spider hinterher. »Willst du Irish im Stich lassen?«
Mickey blieb stehen, um den Albino zu sich aufschließen zu lassen. »Seitdem Irish diesen Teil des Schleuserrings übernommen hat, hat er sich auf genau diese Situation vorbereitet. Gib ihm die Chance, sich zu beweisen! Die Angreifer haben sich hier nicht umsonst aufgespalten. Sie haben einen Teil ihrer Leute aus einem ganz bestimmten Grund nach Osten geschickt.«
»Du glaubst, sie
wissen
, dass sie eine Queen gefangen haben?«
Mickey wandte sich schulterzuckend ab und eilte
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