Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
schäbig.
Ein dürrer Mann in schwerem Schuppenpanzer wartete am Tor. Über ihm hing eine Öllampe an der Mauer, in den Händen hielt er ein Stück Leder und einen Kohlestift. Seine Augen, mitdenen er misstrauisch die Fomorer zählte, die an ihm vorbei aus dem Tor quollen, waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. »Wo zur Hölle glaubt ihr, dass ihr hinwollt?«, fragte er barsch, als Baturix mit seinen Männern auf ihn zukam. Er sprach Norwegisch mit britischem Akzent.
»Wir sind die Waldläufer, die die Glocke ausgeschaltet haben«, erwiderte Baturix. Er war in der Außenwelt geboren und aufgewachsen, Norwegisch war seine Muttersprache. »Lord Rushai garantiert uns freies Geleit auf den Pass.«
»Waldläufer also«, knurrte der Mann und spuckte aus. Dann aber stahl sich ein grimmiges Lächeln in sein Gesicht. »Ihr habt gute Arbeit geleistet. Die Festung war ein harter Brocken. Wenn die Bastarde Verstärkung geschickt hätten, hätten wir uns richtig anstrengen müssen!«
Innerlich zuckte Baturix vor dem Lob zurück, als wäre es Gift. In gewisser Weise war es das auch – der Schmerz, den er bei dem Gedanken empfand, den Schatten geholfen zu haben und für den Tod so vieler Menschen verantwortlich zu sein, war beinahe körperlich. Er erwiderte jedoch nichts. Es kostete ihn alle Mühe, seine Züge einigermaßen neutral zu halten.
»Na ja, wie auch immer«, brummte der Mann. »Kommt mal mit.« Er hob die Hand und brüllte: »ALLES HAAAALT!«
Der lange Zug der Fomorer hielt an. Ein paar murrten leise, doch die meisten blieben einfach nur mit gesenkten Köpfen stehen und warteten auf das nächste Kommando.
Wie Schafe
, dachte Baturix und fragte sich, ob er selbst so anders war als sie. Früher, bevor er einer von Derriens Waldläufern geworden war und die Leibgarde des Fürsten Cintorix angeführt hatte, hatte er die Befehle seines Herrn geradezu blind befolgt …
Der Hauptmann – oder Schatten, wie Baturix mittlerweile vermutete – winkte die Waldläufer hinter sich her und arbeitete sich unsanft durch die Fomorer-Herde, die den Durchgang unter dem Glockenturm blockierte. Baturix folgte ihm mit steigendem Unwohlsein – die Festung wirkte auf ihn wie die sprichwörtliche Höhle des Löwen. Dass er den Schatten bereits seit seinem Gesprächmit Rushai vor einer guten Stunde völlig ausgeliefert war, änderte nichts an seinem unguten Bauchgefühl.
Trollstigens Burghof war ein unregelmäßiges Viereck, jede Ecke von einem Turm bewacht. An der Mauer gegenüber dem Torturm war eine große Rundhütte niedergebrannt, die Strohmatten des Hüttendachs daneben waren zu Boden gezogen, um das Feuer an der Ausbreitung zu hindern. Zur Linken des Tors befand sich ein großer Stall, rechts eine noch größere Wohnhalle, die der Garnison wohl als Unterkunft gedient hatte. Die Schlange an Fomorer-Kriegern erstreckte sich quer über den Burghof vom Tor im Torturm bis hin zum Tor im Glockenturm. Baturix versuchte erfolglos, nicht an das Leid und Unglück zu denken, das diese Krieger den am Romsdalsfjord lebenden Menschen bringen würden.
Erst dann fielen ihm die Leichenberge auf, die die Nain unter dem Südwall aufgeschichtet hatten. In mehreren Haufen lagen dort Dutzende, nein, Hunderte von Toten, nackt und blass und blutüberströmt. Der Bretone Rieg übergab sich geräuschvoll.
»Ein guter Sieg!«, erklärte der Schatten. »Das nächste Mal, wenn wir euch Waldläufern über den Weg laufen, machen wir mit euch das Gleiche! Kommt mit, ich bringe euch zum Tor.«
»Warte, Kru’shaark!« Ein weiterer Mann lief auf sie zu, eine bärtige Gestalt, über deren dicken Bauch sich ein rußgeschwärztes Kettenhemd spannte. »Sind das die Waldläufer?«
»Ja«, knurrte der Schatten namens Kru’shaark. »Was willst du von ihnen? Sie stehen unter Rushais Schutz, wir können sie nicht umbringen!«
Baturix schluckte kurz, erschrocken über die Beiläufigkeit, wie der Schatten über sein Leben sprach, im nächsten Moment aber auch erleichtert darüber, wie viel Gewicht das Wort des Schwarzen Baums 12 besaß.
»Das hat hier auch niemand vor. Aber Rushai hat mir gesagt, dass die Waldläufer die Anführerin sehen müssen.«
»Was?« Kru’shaark betonte das Wort wie einen besonders ekelhaften Fluch.
»Wir sollen ihnen die Anführerin der Garnison zeigen. Die Fürstin Gudrun. Es geht um eine Abmachung, die Rushai mit dem Weißen Baum 13 getroffen hat.«
Kru’shaark schüttelte den Kopf, presste grübelnd die Lippen aufeinander.
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