Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Festung Trollstigen eingestiegen, um die Tore für Gudruns wartende Krieger zu öffnen, eine Erinnerung, bei der sich noch immer Wolfgangs Haare zu Berge sträubten. Dann war für zwei Monate ein trügerischer Frieden in sein Leben gekehrt. Ein idyllischer Frieden, das musste man anerkennen, zum ersten Mal in seinem Leben hatte er heile Welt spielen können mit einer Frau, einem Haus und einem geregelten Lebenswandel. Gudrun und er hatten erstaunlich gut zusammengepasst, oder, um ihre eigenen Worte zu verwenden, wie Pech und Schwefel. Sie hatten sich wahnsinnig gutgetan. Trügerisch war der Frieden dennoch gewesen – Ende August war das
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auf der Harburg gewesen, wo man versucht hatte, Gudrun umzubringen. Am Tag darauf war sie mit ihrem Langboot zurück nach Norwegen gefahren, während Wolfgang in Hamburg geblieben war, um nach dem Attentäter zu suchen. Das war das letzte Mal, dass er sie gesehen hatte. Die Vorbereitungen der Hamburger Ratten für ihre Dämonenbeschwörung hatten ihn in Deutschland gehalten, bis zurNacht der Beschwörung und des großen Feuers. In der gleichen Nacht war Gudrun hoch oben in Norwegen umgekommen.
Vorgestern.
Er könnte kotzen.
Gestern war der Überfall im Elbwatt gewesen.
Und heute … heute hatte er eigentlich etwas Abwechslung gesucht, abgesehen davon, dass er sich vor Herwarth versteckte. Ein bisschen illegales Glücksspiel wäre ihm da gerade recht gekommen und hätte den Nebeneffekt gehabt, dass er gleichzeitig ein Rattennest ausspionierte. Dass es sich bei diesem Glücksspiel um Mäusebeißen handeln könnte, hatte er völlig ausgeblendet.
Er schüttelte den Kopf.
Ein Tag Abwechslung, und du suchst dir etwas aus, wo du gleichzeitig spionieren kannst. So weit ist es schon gekommen mit dir. Du bist ein verdammter Idiot, das muss man einfach anerkennen!
Als er die Pforte erreichte, hatte der Regen endlich nachgelassen. Die Wolkendecke war aufgerissen, so dass Mond- und Sternenlicht einen Komplex aus leerstehenden, heruntergekommenen Lagerhäusern beschienen. Die Flächen dazwischen waren mit Büschen und Brennnesseln bewachsen, die Wände mit wildem Wein und anderlei Ranken, doch nun war Herbst und die Blätter abgefallen, so dass nichts darüber hinwegtäuschen konnte, welch triste Gegend dies war. Verglichen mit anderen Pforten, die üblicherweise an Orten von außergewöhnlicher Schönheit entstanden, war die Harburger Pforte geradezu abstoßend. Wahrscheinlich hätte es nicht mehr lange gedauert, bis ihre Magie erloschen wäre, doch zum Glück hatte Herwarth die Harburg rechtzeitig erobert. Nun konnten sich die Sachsen um die Pforte kümmern und ihren Erhalt sichern.
Denn die Magie war hier noch immer stark. Wolfgang spürte sie durch seinen Körper fließen, während sich sein Bewusstsein langsam erweiterte. Er spürte die beiden Wächterlinge, die Herwarths Zauberer im Sommer hier beschworen hatten und deren Stärke seitdem bereits merklich nachgelassen hatte. Sie dienten ohnehin nur zur Überbrückung, bis der noch junge, zarte Wächtergeist der Pforte heranreifen konnte. Die Wächterlinge schienenzu dösen, doch als Wolfgangs Wahrnehmung im Magiestrom noch einmal schärfer wurde, spürte er ihre Aufmerksamkeit. Sie waren wie zwei Männer, die an einer Mauer am Wegesrand gelehnt zu schlafen schienen, ihn aber heimlich unter halb geöffneten Lidern beobachteten.
Wolfgang lächelte, während er sich ganz der Magie öffnete und sich nach Midgard treiben ließ.
Die Midgardseite war nicht weniger kahl. Der nach der Eroberung im Sommer frisch gepflanzte Ring aus Eichenschösslingen hatte längst sein Laub abgeworfen und wirkte wie tot. Den drei Runensteinen fehlte das Alter, sie stammten beinahe frisch aus Lhiuniburcs Steinbruch. Nichts war an dieser Pforte so wie an den meisten anderen, die Wolfgang kennengelernt hatte.
Sein Bewusstsein schränkte sich wieder ein, als er der Pforte den Rücken kehrte und den Pfad entlangschlenderte, der zwischen brachliegenden Feldern hindurch zum Damm zur Harburg führte. Er hatte es nicht eilig. Er wusste, dass ihm Herwarth die Hölle heißmachen würde, sobald er zurück war.
Wolfgangs Stiefel schmatzten im Schlamm des Pfades. Vor sich erkannte er bereits die Wachfeuer auf dem Damm, über dem mehrere Bootsmasten hervorragten. Es waren zwei weniger als noch am Morgen. Vielleicht waren die beiden Händler weitergereist, die gestern mit ihren Kähnen voller Salz aus Lhiuniburc gekommen waren und aus Angst vor dem Dämon
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