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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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zu Kim und hatte sie noch nicht bemerkt. Kim wich ein wenig zurück. Sie war unsicher, was sie tun sollte. Sollte sie besser wieder reingehen? Es war nicht richtig, dieses Gespräch zu belauschen, aber irgendwie war sie neugierig, wie Lukas auf Maries Getratsche reagieren würde.
    Und wenn sie ganz ehrlich war, dann hätte sie auch gern gewusst, was Marie noch so alles über sie erzählen würde.
    »Ich meine nur«, fuhr Marie fort. »Wusstest du, dass Kims Schwester brutal ermordet worden ist?«
    Lukas’ Schultern verkrampften sich.
    »Da kann man ja schon auch ein bisschen Verständnis dafür haben, dass sie … äh … nicht mehr ganz richtig tickt, oder?«, plapperte Marie weiter.
    Kim musste schlucken. Dass viele andere sie für einen Freak hielten, war ihr klar. Aber dass auch Marie dieser Meinung war, tat weh. Irgendwie hatte sie immer gehofft, ihre Freundin hätte Verständnis für ihr abweisendes Verhalten und könnte ein bisschen nachvollziehen, wie es ihr ging.
    Aber offenbar hatte sie sich in Marie getäuscht.
    »Wahrscheinlich macht Kim sich furchtbare Selbstvorwürfe«, fuhr Marie mit gesenkter Stimme fort, »weil ihre Schwester noch versucht hat, sie anzurufen, als der Mörder schon hinter ihr her war. Aber Kim hat den Anruf weggedrückt. Wusstest du das? Ich meine, die Arme, oder? Wie muss sich die Vorstellung für sie anfühlen, dass sie Nina vielleicht das Leben hätte retten können? Was denkst du?«
    Inzwischen hatte Lukas die Fahrradkette aufgeschlossen. Jetzt schlang er sie sich um den Unterarm, um sie zusammenzulegen. Kim meinte erkennen zu können, wie seine Augen aufblitzten, als er Marie nun direkt ins Gesicht sah.
    »Ich denke, dass du lieber den Mund halten solltest«, sagte er sehr ruhig. Dann schlang er die Kette um die Sattelstange, umrundete sein Fahrrad und hob es aus dem Ständer. Ohne Marie weiter zu beachten, schob er sein Rad ein paar Meter vorwärts. Marie lief hinter ihm her, sodass sie jetzt beide aus dem Sichtschatten der Wand hervortraten. »Aber …«, setzte sie an.
    Lukas blieb stehen. Über Maries Schulter hinweg entdeckte er Kim, aber sein Gesichtsausdruck verriet nicht, ob er erstaunt oder erschrocken war, sie dort zu sehen. Mit unveränderter, finsterer Miene warf er Marie erneut einen Blick zu und sagte: »Gib dir keine Mühe!«
    Dann schob er sein Rad an ihr vorbei aus dem Schultor und auf den Bürgersteig.
    In diesem Moment bemerkte auch Marie Kim. Sie zuckte zusammen und wurde erst blass, dann knallrot. »Kim!«, stieß sie hervor.
    Kim sagte nichts. Sie hatte genug damit zu tun, die in ihr tobenden Gefühle unter Kontrolle zu halten. Aus dem Augenwinkel nahm sie Lukas’ Blick wahr. Sie drehte sich um und sah, wie er den Mundwinkel in der Andeutung eines Lächelns verzog.
    Marie stammelte eine kurze Entschuldigung, dann drängte sie sich an Kim vorbei und flüchtete ins Innere des Schulgebäudes.
    Lukas lachte leise. »Geschieht ihr recht, oder?«
    Kim wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Vieles lag ihr auf der Zunge, aber sie war einfach zu durcheinander. Und enttäuscht von Maries Verhalten. Aber noch viel schlimmer waren die Schuldgefühle, die jetzt wieder anfingen, in ihr zu brennen.
    Warum hatte sie Ninas letzten Anruf einfach weggedrückt? Warum?
    »Ich hätte Nina nicht retten können«, murmelte sie und wiederholte damit den Satz, den der Therapeut ihr schon so viele Male gesagt hatte. Ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich mit dem Rücken gegen die Schulmauer lehnen musste. Hoffentlich bekam Lukas nicht mit, wie schlecht es ihr gerade ging.
    Auch Frau Keller und Johanna hatten Kim wieder und wieder versichert, dass es nicht ihre Schuld war, dass Nina ermordet worden war. Selbst wenn sie ihren letzten Anruf angenommen hätte – an Ninas Lage hätte sie nichts mehr ändern können. Es war sehr wahrscheinlich, dass die Person, die Nina kommen gehört hatte, ihr Mörder gewesen war.
    Das Einzige, was du damit hättest erreichen können, hatte Frau Keller einmal zu Kim gesagt, wäre, dass du ihren Tod hättest mit anhören müssen.
    Kim wusste das. Aber trotzdem fühlte sie sich so unendlich schuldig. Schuldig, weil sie lebte und Nina tot war.
    Wenn sie noch ein letztes Mal mit ihrer Schwester gesprochen hätte, würde sie sich dann heute besser fühlen?
    Sie schluckte schwer.
    »Mach dir keine Gedanken«, sagte Lukas. Er schwang sein rechtes Bein über den Sattel, machte aber keine Anstalten loszufahren.
    Kim blinzelte. Fang jetzt bloß nicht

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