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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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und starrte dann Jonas einfach nur schweigend an.
    »Scheißmörder!«, zischte Jonas. »Das hast du jetzt davon!« Dann schlug er ein zweites Mal zu.
    Wieder kippte Lukas nach vorne und diesmal versetzte Jonas ihm einen zusätzlichen Haken gegen das Gesicht.
    Kim schrie auf. Warum wehrte er sich nicht?
    Lukas ging in die Knie.
    Ich kann es beherrschen, echoten seine Worte in Kims Kopf.
    »Nein!«, schrie sie, stürzte vorwärts, aber sie kam zu spät. Jonas holte mit dem Fuß aus und trat brutal zu. Keuchend krümmte Lukas sich am Boden.
    »Du Scheißkerl!«, hörte Kim sich schreien. »Lass ihn in Ruhe!«
    Da ließ Jonas von Lukas ab. Er richtete seinen Blick auf Kim. Sein Atem hatte sich beschleunigt, in seinen Augen lag etwas Wildes. Er öffnete den Mund, aber eine Stimme aus dem Hintergrund schnitt ihm scharf das Wort ab.
    »Jonas!« Diesmal war es nicht Herr Schröder, der Jonas am Arm packte, sondern eine der Sportlehrerinnen, Frau Meyer. »Das war’s für dich, Freundchen!«, sagte sie kühl. Während sie Jonas zur Seite zerrte, kamen zwei weitere Lehrer und kümmerten sich um Lukas.
    Er ließ sich von ihnen aufhelfen, wehrte es aber ab, sich untersuchen zu lassen. Leicht gekrümmt stand er da, Blut tropfte ihm von der aufgeplatzten Unterlippe. Er schien es gar nicht zu bemerken, denn sein Blick ruhte nur auf Kim. »Ich war es nicht«, wiederholte er. Er sprach so leise, dass nur die nächsten Umstehenden ihn verstehen konnten, und in diesem Moment glaubte ihm Kim.
    Nachdem Frau Meyer Jonas zum Rektor abtransportiert hatte, bestanden die beiden anderen Lehrer darauf, Lukas ins Krankenhaus zu bringen, damit er sich untersuchen lassen konnte. Rechts und links von ihm stellten sie sich auf, wahrscheinlich um ihn zu stützen, doch auf Kim wirkte das Ganze so, als würde Lukas abgeführt.
    Der Rest des Vormittags verging quälend langsam. Mehr als einmal spielte Kim mit dem Gedanken, Sigurds Angebot anzunehmen und sich von ihm abholen zu lassen, aber sie widerstand der Versuchung. Aus irgendeinem Grund hatte sie Angst, DAS BÖSE könnte sie einholen. Sie würde in einem tiefen pechschwarzen Loch versinken, wenn sie auch nur einen Anflug von Schwäche zeigte. Also hielt sie durch – und ging nach der Schule zu einem Termin bei Dr. Schinzel.
    Die kaputte Standuhr hinter dem Arzt zeigte Viertel vor zehn und auch sonst schien sich in dem Therapiezimmer seit dem letzten Mal absolut nichts geändert zu haben. Hier stand die Zeit still, im wahrsten Sinne des Wortes. Allerdings schien heute die Sonne wieder durch die Blätter der Bäume, die Atmosphäre war ruhig und friedlich, der absolute Gegensatz zu dem grenzenlosen Chaos, das in Kim tobte.
    Dr. Schinzel wusste bereits, was mit Marie geschehen war. Sigurd hatte ihn angerufen und ihm alles erzählt, das berichtete er Kim, nachdem sie sich in dem Ledersessel niedergelassen hatte.
    »Es tut mir sehr leid für deine Freundin«, sagte er und musterte Kim dabei eindringlich. »Wie fühlst du dich damit?«
    Kim setzte zu einem Schulterzucken an, stoppte sich dann aber selbst und suchte stattdessen nach den passenden Worten. Sie fand sie nicht. »Ich weiß nicht genau«, sagte sie schließlich.
    »Versuch, es herauszufinden!«
    Sie gehorchte und lauschte in sich hinein. Ein paarmal atmete sie tief ein und wieder aus. Dann meinte sie leise: »Ich bin natürlich traurig. Das ist wohl normal, schließlich war Marie meine Freundin.« Sie verstummte.
    Dr. Schinzel wartete.
    »Aber da ist noch so viel mehr«, fuhr Kim fort. »Ich muss andauernd an Nina denken, daran, wie sie damals gestorben ist, und daran, wie weh das getan hat.«
    »Tut es jetzt bei Marie genauso weh?«
    Kim zögerte. Dann schüttelte sie den Kopf.
    »Und was empfindest du dabei?«, fragte der Arzt.
    »Irgendwie kommt es mir …« Kim suchte nach dem richtigen Ausdruck. »… unfair vor. Immerhin ist Marie genau das Gleiche passiert wie Nina.«
    »Unfair.« Dr Schinzel ließ das Wort im Raum schweben.
    Nun zuckte Kim doch mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Ich meine, ich müsste doch eigentlich genauso traurig sein wie damals, aber das bin ich nicht. Jedenfalls nicht wegen Marie.«
    Der Arzt hob leicht die Augenbrauen. Kim kannte dieses Zeichen. Es bedeutete, dass sie etwas Wichtiges gesagt hatte. »Es ist ganz normal«, sagte er, »dass du um deine Schwester mehr getrauert hast als um deine Freundin.«
    »Ich weiß nicht.« Kim erinnerte sich an den Abend, kurz bevor sie ins Pascha gegangen war. »Das

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