Schattenfürst - Landers, K: Schattenfürst
Mühevoll erhob sich Karolina und drückte das Rückgrat durch. „Verdammt!“ Sie stampfte mit dem Fuß auf, als sie das gebrochene Wagenrad erkannte. Dann musste sie eben zum Schloss des Fürsten reiten. Vorsichtig näherte sie sich dem verängstigten Pferd, um das Geschirr zu entfernen. Sie klopfte an seinen Hals. „Ruhig, mein Guter.“
Gerade als sie den letzten Gurt löste, scheute es erneut, und Karolina musste zur Seite springen, um nicht von einem Huf getroffen zu werden. Nur ihre Hand hielt eisern den langen Zügel fest, um das Fortlaufen des Pferdes zu verhindern. Sie spürte einen heftigen Schmerz in der Handfläche und schrie auf. Blut rann über ihren Handrücken und tropfte in den Schnee. Das Pferd tänzelte. Dann sah sie den Grund für seine Angst. Nur wenige Schritte von ihnen entfernt stand ein riesiger, schwarzer Wolf, der seine Zähne fletschte.
Unbeweglich starrte er sie an. Sein heiseres Knurren ging ihr durch Mark und Bein. Der Wolf duckte sich. Karolina wagte nicht zu atmen.
Vor solch einem grausamen Tod hatte sie sich ihr Leben lang gefürchtet.
Die schwarze Bestie näherte sich lautlos und geschmeidig.
Jeden Moment rechnete Karolina mit einem Angriff.
Doch dann gewann ihr Lebenswille die Oberhand, der die Angst verdrängte. Neben ihr auf dem Boden lag die gebrochene Schwebedeichsel. Sie musste sich nur noch bücken, um sie zu greifen und sich damit zu verteidigen. Karolina nahm allen Mut zusammen. Woher sie die Kraft nahm, wusste sie selbst nicht.
„Na, komm schon her, du Bestie. So leicht bin ich nicht zu töten!“ Ihre Stimme klang heiser. Dabei beugte sie sich vorsichtig seitwärts, ohne den Wolf aus den Augen zu lassen und hob die Schwebedeichsel an.
Der Wolf knurrte, rührte sich jedoch nicht. Eisblaue Augen starrten Karolina an. „Fürchtest du dich etwa?“ Durch das Zögern des Wolfes kühner geworden, fuchtelte Karolina mit der Deichsel in der Luft. Gebannt verfolgte die Bestie jede ihrer Bewegungen.
Als der Wolf keine Anstalten machte anzugreifen, stutzte sie. Irgendetwas stimmte nicht. Die blauen Augen fixierten sie auf eine Art und Weise, wie sie es schon einmal erlebt hatte. Aber wo? Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.
„Was ist los? Traust du dich nicht? Ha! Hier bin ich! Stürz dich auf mich und bereite allem ein Ende!“ Karolina schrie aus voller Kehle.
Doch der Wolf wich zurück, und ehe sie nachdenken konnte, verschwand er so plötzlich im dichten Unterholz, wie er aufgetaucht war.
Es herrschte eine unglaubliche Stille, die nur durch ihren keuchenden Atem und das Schnauben des Pferdes unterbrochen wurde. Erleichterung breitete sich in ihr aus. Sie ließ die Deichsel aus der Hand gleiten und seufzte auf. Dann lachte sie so lange, bis ihr die Tränen liefen.
Schließlich schwang sie sich aufs Pferd und ritt zur Straße. Sie krallte die Hände in die schwarze Mähne und lehnte sich nach vorn, um ihr Gesicht vor dem Schneetreiben zu schützen.
Erschöpft schloss sie die Augen und vertraute ganz dem Tier unter sich. Sie wusste, dass nur dieser Weg zum Schloss des Fürsten führte.
7 .
Karolina war auf dem Pferderücken eingenickt. Sie wurde durch lautes Hufgeklapper geweckt, öffnete die Augen und erkannte unter sich einen gepflasterten Weg. Dieser führte eine Anhöhe hinauf, auf dessen Spitze sich der Umriss eines Schlosses zeigte, dessen Größe Karolina für einen Moment die Sprache verschlug. Genauso imposant wie düster wirkte das Gemäuer, das im Laufe der Zeit Patina angesetzt hatte. Das Schloss glich in seiner Architektur einer Burg - umgeben von einem breiten Wassergraben, über den eine steinerne Brücke führte. Es war in dieser Gegend oft üblich gewesen, die Schlösser auf alten Burganlagen zu errichten. Da die Karolyís zum alten Adel zählten, wie sie aus Vaters Erzählungen wusste, reichte ihr Stammbaum bis ins Mittelalter zurück.
Einen kurzen Moment lang stiegen Zweifel in ihr auf, der Fürst könne seine Hilfe verweigern. Doch es musste ihr gelingen, Dominik Karolyí von einem Rettungsversuch zu überzeugen. Sicher würde er über ihren Verdacht lachen, die Gräfin wäre eine Vampirin. Aber sie würde ihm alles beweisen.
Langsam überquerten sie die glatte Brücke, die zum Innenhof des Schlosses führte.
Karolina zügelte das Pferd im Schlosshof und sprang ab. Dann rannte sie die breiten Stufen zum Portal hinauf.
Vor ihr glänzte der polierte Messingtürklopfer, einen gehörnten Engel darstellend, der eine
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