Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
vorausgesetzt, Sejanus und seine Gefolgschaft haben es geschafft, das Märchen aufrechtzuerhalten, dass ich außer Gefecht gesetzt bin.«
Telmaines Meinung nach strafte die straff gespannte Haut über seinen Gesichtsknochen dieses »Märchen« Lügen.
Stille trat ein dann holte Phoebe Broome hörbar Luft. »Fürst Vladimer, ich möchte, dass Sie mir erlauben, Ihren Revolver zu nehmen, bis wir angekommen sind.«
Diese außerordentliche Bitte verblüffte Telmaine so sehr, dass sie die andere Frau peilte. Sie stellte fest, dass Phoebe sich mit entschlossener Miene vorbeugte, und alle Spuren der linkischen, gesellschaftlich eingeschüchterten Frau verschwunden waren.
»Wenn Sie nicht mir oder einem meiner Leute gestatten, Sie zu heilen, dann sollten Sie mir den Revolver überlassen. Wenn Ishmael hier wäre, würde er darauf bestehen.«
»Ach, tatsächlich?«, gab Vladimer in jenem kühlen Tonfall zurück, der Telmaine einschüchterte, wann immer sie ihn hörte.
»Vielleicht würde er die Risiken anders abwägen. Aber, verraten Sie mir, Fürst Vladimer, würden Sie einem Mann in Ihrer Verfassung die Verantwortung für eine geladene Waffe überlassen?«
Erneut trat Stille ein, in der Vladimer sich gewiss wie Telmaine an Sylvides Tod erinnerte, dann folgte ein Rascheln von Kleidung, und sie hörte das Lösen eines Halfters. Telmaines Peilruf fing die Übergabe des Revolvers auf, der mit dem Griff voraus von seiner Hand in Phoebes gelegt wurde. »Danke, Fürst Vladimer. Ich würde mich besser fühlen, wenn Sie einem von uns gestatteten, sich um Ihre Wunde zu kümmern. Sie würden klarer denken, wenn Sie nicht solche Schmerzen hätten.«
»Das ist inakzeptabel.«
»Ja«, erwiderte sie mit einem Seufzen und überprüfte die Sicherung des Revolvers, bevor sie ihn in ihre Tasche steckte, »das ist es wahrscheinlich.«
Sollte Telmaine erwähnen, dass Fürst Vladimers Gehstock in seinen Händen genauso tödlich war wie ein Revolver? Sie war dabei gewesen, als er einen Mann damit getötet hatte, doch sie wagte es nicht.
»Was sollen wir tun, wenn wir in den Bahnhof einfahren?«, fragte die Magierin.
»Ich würde vorschlagen, dass Sie alle Nichtmagier dem Eisenbahnpersonal überlassen. Sie kümmern sich um die Magier. Mir wäre es erheblich lieber, wenn Sie die Schattengeborenen kampfunfähig machten, statt sie zu töten, da wir Informationen von ihnen benötigen. Allerdings untersteht der magische Aspekt Ihrem Befehl, ich kann Ihnen keinen Rat erteilen.«
In gewisser Hinsicht war die Ankunft in Strumheller auf willkommene Weise undramatisch. Es erwartete sie kein schattengeborener Hinterhalt. Andererseits wurde sofort klar, dass dies keine normale Nacht war. Sie stiegen in einem von Eisenbahnarbeitern abgesperrten Bereich aus, wo sie sofort zwei Reporter der Lokalzeitung und mehrere Eisenbahnbeamten belagerten. Auf dem Bahnsteig gegenüber konnte Telmaine eine sich bewegende Menge und das schnaufende Profil eines wartenden Zuges peilen. Vladimer hob die Stimme über das Getöse, um Phoebe zu befehlen, Kutschen für ihre Gruppe zu beschaffen, die sie zum Herrenhaus bringen sollten. Er bestand darauf, dass man ihn zum Telegrafenbüro führte, bevor er irgendwelche Fragen beantwortete. Die Reporter stürzten sich auf Farquhar und wollten wissen, wer sie waren, warum sie in Gesellschaft Fürst Vladimers reisten und ob sie wussten, was mit Stranhorne passiert war? Und was an den Berichten vom Tod des Erzherzogs dran sei? Der mächtigste lebende nachtgeborene Magier strahlte sie an, zog schwungvoll vier Bohnenbeutel aus seinen Taschen und begann zu jonglieren. Telmaines vorübergehende Erleichterung, dass er den Reportern nichts erzählen würde, legte sich schnell wieder, als die Reporter ihre Aufmerksamkeit nun auf sie lenkten. In ihrem für eine Erzherzogin geschneidertem Reisegewand war sie der offenkundige Sonderling inmitten der schlicht gekleideten Magier. Sie wich unter ihrem Ansturm zurück. Reporter waren eine Spezies, mit der die behütete Prinzessin Telmaine nur wenig Erfahrung hatte.
Das Eindringen bewaffneter Männer rettete sie. Farquhar Broomes Bohnenbeutel schossen mit einem Ruck in seine Hände hinab – etwas, das für die Nichtmagier um sie herum hoffentlich nicht allzu auffällig war – , und sie spürte ein Aufwallen von Magie zwischen den anderen, eine Zusammenballung defensiver Kräfte. Ein Mann in Eisenbahnuniform schob sich zwischen sie und die Reporter, wandte den Leuten den Rücken zu und
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