Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
genug, ihn von einem Tod zurückzuholen, den er für sicher gehalten hatte. »Ich habe fünfundzwanzig Jahre gegen Sie gekämpft und geglaubt, im Kampf gegen Sie zu sterben.«
»Das wären Sie auch. Sagt Ihnen das nicht etwas?«
»Es lohnt sich wohl kaum für Sie, mich von den Toten zurückzuholen, nur um mich dann erneut zu brechen. Mein Leute werden mein Schicksal bedauern, aber nichts, was Sie mir antun, wird sie schwächen. Und falls Sie mich verhexen und zurückschicken, werden sie es erkennen.«
»Ishmael«, sagte sie sanft. »Sie fürchten mich aus den falschen Gründen.« In ihrer Stimme lag etwas, das ihm einen Schauder über den Rücken jagte. Sie wich ihm aus und leugnete nicht, dass er einen Grund zur Furcht hatte. »Mein Name, nach dem Sie zu fragen zu stur sind, ist Isolde.« Sie hielt inne und wartete, dass er verstand. Dann fügte sie leicht resigniert hinzu: »Imogene war meine Mutter.«
Der Name der Magierin, der der Fluch zugeschrieben wurde und die als Anführerin jener galt, die die große Trennung der Völker herbeigeführt hatten, war auf beiden Seiten des Sonnenaufgangs seit achthundert Jahren für kein Kind mehr benutzt worden.
»Denken Sie gründlich darüber nach, Ishmael«, forderte sie ihn auf.
Er dachte nur an eines, nämlich daran, dass Xavier Stranhorne recht gehabt hatte.
Und er konnte Vladimer fragen hören, warum die Schattengeborenen sich all die Jahre in den Schattenlanden versteckt hatten, wenn sie über eine solche Macht verfügten. Warum gingen sie erst jetzt gegen den Norden vor, und das auf eine so verschleierte, chaotische Weise?
»Ich bin die jüngere Schwester. Jene, die es nicht in die Geschichtsbücher geschafft hat.«
»Normalerweise schaffen es die Lebenden auch nicht dort hinein«, erwiderte Ishmael, immer noch hin und her gerissen zwischen Glauben und Zweifel. »Und die Schattengeborenen? Was sind sie für Sie? Haben Sie sie erschaffen?«
»Nein.«
»Aber Sie haben den Ruf erschaffen. Er kommt von Ihrer Dienerin. Wie ich schon sagte, wenn Sie mit dem Ruf Leute dazu bringen, Ihnen zu dienen – ich bin nicht geneigt, mich zu fügen.« Seine großen Reden waren sinnlos, er konnte mit einer Verhexung dazu gebracht werden. Er atmete tief ein und bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. »Erklären Sie mir doch bitte, was Sie wollen.«
Stille. Sein Sonar fing ein schwaches Lächeln auf, das um ihre Mundwinkel spielte. Seine Mutter hatte so gelächelt, wenn er ihr eine Freude gemacht hatte. Sie war eine empfindsame, kultivierte Frau gewesen, die nichts für kindisches Betragen übrig gehabt hatte.
Auch das konnte sie zweifellos aus seinem Geist gepflückt haben.
»Was wissen Sie über die Trennung, Ishmael?«
»Ich bin kein Gelehrter«, antwortete er, »aber einer, den ich kenne«, es schien nicht nötig, ihnen zu offenbaren, dass Xavier Stranhorne tot war, falls sie es nicht bereits wussten, »sagt, der endgültige Bruch habe etwas mit der Geografie oder vielleicht mit dem Wetter zu tun gehabt. Aber aus meiner Erfahrung heraus weiß ich, dass es im Grunde wohl nichts dergleichen war. Parteiungen, Ambitionen, Rivalitäten; ob es nun Herzöge, Hafenbanden, Marktbudenbesitzer oder Magier sind, es ist stets das Gleiche.«
»Nicht ganz, Ishmael.«
»Ich werde Ihnen wohl glauben müssen. Wie lange bin ich schon hier?«
»Weniger als einen Tag, Ishmael. Bewegen Sie sich nicht.« Er war sich nicht bewusst gewesen, sich bewegt zu haben, aber ja, innerlich hatte er sich bei der Erkenntnis aufgebäumt, dass ohne ihn Zeit verstrichen war. »Sie haben das Herrenhaus Stranhorne eingenommen, aber weiter sind sie noch nicht gekommen.«
»Dann sind sie keine Verbündete von Ihnen?«
»Ganz gewiss nicht.«
»Haben Sie vor, gegen sie zu kämpfen, oder wollen Sie tatenlos zusehen?«
»Das«, antwortete sie, »mag von Ihnen abhängen.«
»Wie das?«, gab er zurück, bevor er sich eines Besseren besinnen konnte.
Sie richtete sich auf. »Ich fürchte, Sie werden eine Geschichtslektion über sich ergehen lassen müssen. Zur Zeit der Trennung«, begann sie mit einer klaren und jüngeren Stimme, »war ich ein Kind von acht Jahren. Imogene und ihre Anhänger wussten, dass das Wirken des Fluches sie ausbrennen, wenn nicht gar töten würde. Doch damit der Fluch sie überdauerte, musste er in Lebenskraft und Magie verankert werden. Für die Verankerung in der Magie wählten sie neun ihrer Kinder aus – jüngere Brüder und Schwestern, Kinder und Enkelkinder.«
Er konnte sich
Weitere Kostenlose Bücher