Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
sie schlief.
Aber sie hatte ihm gesagt, er solle sie wecken.
»Ich hätte dich auch gleich geweckt.«
» Gleich hätte zu spät sein können«, erwiderte sie. Der Hauptmann schien amüsiert, was keineswegs zu ihrer Beruhigung beitrug. Lapaxo war der ernsteste Mann, den sie kannte. Sie steckte den Revolver weg. Hätte Lapaxo etwas Böses im Schilde geführt, hätte er bei ihrer geringsten Regung gehandelt. Sie konnte sich die zwei oder drei Minuten leisten, die sie brauchte, um sich ordentlich herzurichten.
Sie lauschte durch die Tür, während Balthasar fortfuhr zu schildern, wie der Schattengeborene Rupertis getötet hatte. Er tat es so detailliert, dass es selbst für sie als Leibgardistin brutal gefühlskalt wirkte. Das hatte sie von Balthasar nicht erwartet, ebenso wenig, dass er ihr einfach die Tür öffnete, auch wenn ihre Sicherheit davon abhing. Sie durfte nicht vergessen, dass Balthasar seine eigenen Ziele verfolgte.
Als sie zurückkehrte, sagte Lapaxo gerade: »Wir kennen Johannes. Er war der Cousin des Dienstboten, den wir zusammen mit Isidore verloren haben, und mit zwei oder drei anderen verwandt, die im Palast arbeiten. Er trinkt ihr Bier und redet mit jedem über Revolution, der zuzuhören bereit ist. Parhelion hielt ihn für einen Sprücheklopfer. Aber wenn er mit Rupertis bekannt war, dann würde ich als Erstes auf ihn tippen, wenn ich raten sollte, woher Prasav wusste, dass Fejelis Verbindungen zu den Kunsthandwerkern unterhielt. Isidore hatte uns befohlen, es für uns zu behalten. Nur jene von uns, die Fejelis zugeteilt waren, wussten es.« Er schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel, und sein Mund verzog sich grimmig. »Wenn ich auch nur den geringsten Verdacht gehabt hätte, dass Rupertis korrupt war, hätte ich ihm niemals das Kommando übertragen.« Er schüttelte den Kopf. »Dieser Magier war doch der, den Ihr Vater fand, nicht wahr?«
»Ja.« Bei seiner Ankunft in der Stadt war Tam bettelarm gewesen und hatte keine Ahnung gehabt, dass seine schlecht entwickelte Magie ihn ein Dutzend Jahre oder länger daran hindern würde, bei irgendetwas auch nur halbwegs erfolgreich zu sein. Er hätte sich vermutlich noch ein weiteres Dutzend Jahre abgemüht, es sei denn, jemand hätte ihm vorher die Kehle durchgeschnitten … wäre er nicht Darien Weiße Hand über den Weg gelaufen.
»Darien fand es zum Schreien komisch, erkannt zu haben, was einer Stadt voller Magier entgangen war. Wissen Sie, wohin dieser Magier verschwunden ist, als er Fejelis mitgenommen hat? Ich habe gehört, Sie hätten Helenja gesagt, er sei nach Westen über die Grenze und in die Berge gegangen.«
»Das ist der letzte Ort, wohin er gehen würde.«
»Sie haben also nicht die Seiten gewechselt?«, fragte der Hauptmann der Leibgarde unumwunden.
Er besaß ein Recht auf diese Frage, obwohl es sie ärgerte, dass auch er ihre Loyalität anzweifelte. »Ich war Isidores Leibgardistin. Sein letzter Befehl an mich lautete, auf Fejelis aufzupassen.«
Er schaute sie an, sie erwiderte seinen Blick gelassen. Ein einseitiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich werde Ihnen jetzt verraten, dass mir fast das Herz stehen geblieben ist, als Fejelis darauf bestand, sie allein zu befragen. Ich hätte sogar darauf gewettet, Sie würden ihm ein Messer ins Herz rammen.«
»Und fünf Minuten später wäre ich tot und Fejelis bereits geheilt gewesen.« Falls Fejelis für Isidores Ermordung verantwortlich gewesen wäre, hätte sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihn zu töten, aber sie wäre dabei nicht so töricht vorgegangen. »Fejelis ist nicht durch eine unrechtmäßige Entmachtung auf den Thron gekommen, daher ist er vor Recht und Gesetz der Prinz, und ich werde alles tun, was getan werden muss, um ihn wieder auf den Thron zurückzubringen.«
»Und der Nachtgeborene?«
Sie betrachtete den lauschenden Balthasar. »Er ist ein alter Freund.«
»Leibgardisten haben keine alten Freunde«, wandte Lapaxo ein und zitierte damit einen abgenutzten Leitspruch.
»Leibgardisten haben auch keine Geliebten«, gab sie vielsagend zurück. Lapaxo lebte seit mehr als zwanzig Jahren mit derselben Frau zusammen.
Er deutete eine Berührung seines Herzens an.
Sie fragte sich, warum er gekommen war. Mit fünfundvierzig Jahren war er alt für einen im Dienst stehenden Leibgardisten, und im Gegensatz zu ihr konnte er nicht auf eine lange Familientradition des Dienstes zurückblicken. Vor zwölf Jahren war er ein Hauptmann der Stadtwache gewesen, und noch
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