Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
Aufmerksamkeit galt nicht ihr, sondern der Tür. Er neigte den Kopf zur Seite und lauschte. Sie hörte nichts, aber er war nachtgeboren. Sie hob die Hand, um ihn am Sprechen zu hindern, und gab Lapaxo ein Zeichen. Der Hauptmann glitt von seinem Stuhl und bewegte sich auf die Tür zu. Sie zog Balthasar hoch und wollte ihn ins Schlafzimmer bringen. Hinter einer Wand wäre er geschützt …
Sie hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Als die Tür aufgerissen wurde, trat sie Balthasar die Füße unter seinem Körper weg und ließ ihn in den Schutz des Tisches fallen, wobei sie ihn an seinem dicken Jackenkragen packte, um seinen Fall zu dämpfen. Diese Rücksichtnahme brachte ihr ein Messer in die Seite ein, und sie spürte das Brennen eines zweiten, das ihren Hals streifte. Zwei weitere Messer fielen klappernd vom Tisch auf den Boden. Als sie sich das Messer aus der Seite riss – ein kleines Wurfmesser, ungefährlich, solange es nicht die Augen oder Kehle traf –, begann das Mandala auf der Haut ihres Bauches bereits zu brennen. Lapaxo bewegte sich mit einem geschmeidigen und berechneten Hieb auf die Türöffnung zu, der den Körper des am nächsten stehenden Eindringlings – einer Frau – von den Rippen bis zur Hüfte aufriss. Ein drittes Paar Messer fiel ihr aus den Händen.
»Vergiftet!«, ächzte Floria, halb zusammengekrümmt. Wenn das Gift ihrem magischen Schutz solche Mühe bereitete, konnten Lapaxo oder Balthasar bereits an einem Kratzer sterben. Lapaxo schreckte vor einer Klinge zurück, und zwei weitere Attentäter erzwangen sich den Weg durch die Tür. Sie trugen eine leichte Rüstung und waren mit Rapieren bewaffnet. »Bal, bleib unten!«, blaffte sie und sprang auf, um sich rittlings auf die Stuhllehnen zu setzen – eine schreiende Idiotie, für die ihr Vater sie ausgepeitscht hätte, aber dadurch zog sie die Aufmerksamkeit der Attentäter auf sich . Ein Messer bohrte sich in den Muskel ihrer Schulter; ein zweites sollte ihre Kehle aufschlitzen, aber es zischte an ihrem Ohr vorbei. Sie schoss auf den Mann, der die Messer geworfen hatte, und traf ihn oberhalb des rechten Auges.
Mit seinem Degen wehrte Lapaxo das Rapier seines Gegners ab, entwaffnete ihn und ließ seine Klinge geschickt durch die Naht der Rüstung des Mannes gleiten, der ihm am nächsten stand. Die zu Boden gefallene Frau machte eine scharfe Drehung, bei der ihre Eingeweide bläulich aufblitzten, und schlug aus. Florias Warnruf kam zu spät. Als Lapaxo sich mit einem Sprung außer Reichweite brachte, erschoss Floria den letzten Attentäter und sprang vom Stuhl, um neben dem Tisch zu landen. Sie schwenkte ihren Revolver zwischen den Gefallenen und der Tür hin und her, die Hände rutschig von kaltem Schweiß.
Hinter sich hörte sie ein Kratzen und Rascheln. Aus dem Augenwinkel fing sie eine Bewegung auf – Balthasar fiel vor Lapaxo auf die Knie, der zurückgewichen war, um sich mit einer Hand an der Wand abzustützen – sein Rapier noch immer erhoben und seinen Blick nach wie vor auf die Tür gerichtet. Der Stoff, der sein rechtes Schienbein bedeckte, war blutig. Balthasar schnitt einen Streifen von seiner Jacke ab – grundgütige Imogene, mit einem dieser verfluchten vergifteten Messer! –, wickelte den Streifen unterhalb des Knies um das Bein des Hauptmanns und zog ihn stramm. »Ich brauche Wasser«, sagte er über seine Schulter zu Floria. »Etwas, um die Wunde auszuwaschen. Und ein sauberes Messer.«
»Entlarven Sie sie«, ächzte Lapaxo.
Es gab nur eine Entlarvung, die ihr wichtig war, nämlich wer noch immer eine Bedrohung darstellte. Ihr Blick flackerte über die Attentäter, und sie betrachtete ihre Kleidung: Sie trugen bis hin zu den roten Morgenjacken, nun von einem viel dunkleren Rot befleckt, die Livree gewöhnlicher Palastdiener. Zwei der vier waren tot, oder wirkten zumindest so. Die Frau hatte sich um ihre aus dem Leib gequollenen Gedärme zusammengerollt. Der vierte Attentäter lag ausgestreckt auf dem Rücken, gurgelte und versuchte krampfhaft, sich umzudrehen.
Der Flur lag verlassen da. Sie fragte sich, was aus den Wachen draußen geworden war, nichts Gutes, vermutete sie. Sie schnipste alle Messer aus dem Weg, die sie sehen konnte, und riskierte es dann, sich über die Attentäter zu beugen, um sie zu durchsuchen und ihnen weitere Waffen abzunehmen. Sie hatten keine augenfälligen Schusswaffen bei sich, aber der am weitesten entfernt liegende Attentäter trug eine zusammengerollte schwarze Plane bei
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