Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
gegen die Tür geworfen, und Floria zuckte zusammen.
Das Guckloch wurde geöffnet, und Beatrice’ blasses Gesicht erschien in seinem Rahmen. »Floria?«
»Isdaspapa?«, fragte das unsichtbare Kind.
»Lassen Sie mich hinein«, sagte sie. »Bitte.«
»Tam ist nicht hier.«
»Ich weiß. Und ich weiß auch, wann und wie er die Stadt verlassen hat. Würden Sie mich bitte einfach einlassen?«
Beatrice schloss das Guckloch. Floria zog ihr Stilett – wenn die Frau sie nicht hineinlassen würde, würde sie sich den Eintritt erzwingen – und schob es hastig in seine Scheide zurück, als sie den Bolzen zurückgleiten hörte. Die Tür wurde langsam geöffnet. Beatrice bückte sich, um ihren Sohn am Kragen festzuhalten, ihre gesamte Haltung verströmte Argwohn. In dem emporgewandten Gesicht des Kindes und in seinen Augen spiegelte sich die Enttäuschung wider, als es sie sah. »Isnichpapa.«
Ein Scheppern hinter ihr ließ Beatrice herumfahren, und sie gab den Jungen frei. Das in einem Stuhl aufgerichtete, rothaarige Baby hatte ein Holzspielzeug auf die Fliesen geworfen und funkelte Floria wütend an. Sie konnte spüren, wie der kleine Junge versuchte, sich an ihren Beinen vorbeizuwinden.
»Gibt es jemanden, der sich um die Kinder kümmern kann, während wir reden?«
»Sind Sie hier, um mir zu sagen, er sei tot?«, fragte Beatrice angespannt.
»Er ist nicht tot, aber er steckt in Schwierigkeiten. Haben Sie irgendjemanden, zu dem Sie für die Nacht gehen können – jemanden, von dem Sie wissen, dass er Ihnen Zuflucht gewähren würde?«
Das Baby schrie. Beatrice holte die Kleine, während ihr Sohn einen erneuten Angriff gegen die Tür startete. »Hat er Sie geschickt?«
»Tam hat sich, Fejelis und Orlanjis zu einem anderen Ort gehoben und damit Fejelis vor der Entmachtung und dem Tod gerettet. Helenja hat Sharel damit beauftragt herauszufinden, wohin er sie gebracht haben könnte. Das heißt, sie wird mehr über Tam in Erfahrung bringen, und es dauert nicht lange, bis sie von Ihnen erfährt.«
Beatrice presste die Lippen aufeinander. Die Südländer genossen in Neustadt einen miserablen Ruf. Sie galten als laut, verwegen, gewalttätig bei ihren Vergnügungen und nachlässig, wenn sie für den verursachten Schaden aufkommen sollten. Mit ihren Krawallen hatten sie mehr als einen Markt niedergewalzt, und auch wenn mehr zum Scheitern von Beatrices Familiengeschäft gehört hatte als ein einziger Verkaufsstand voller zerbrochener Tonwaren, war Beatrice den Südländern alles andere als gewogen. »Es ist jetzt zu spät, um noch irgendwohin zu gehen«, sagte sie.
»Es findet ein Treffen zwischen ihren Prächtigkeiten und dem Hof der Nachtgeborenen statt. Deshalb sollen eine Stunde nach Sonnenuntergang die Glocken geläutet werden, um es ihren Prächtigkeiten zu ermöglichen, sich zu dem Treffpunkt zu begeben. Die Nachtgeborenen werden in ihren Häusern bleiben. Dann können Sie weggehen.«
»Ich habe nie … «
»Es ist nicht allgemein bekannt. Wir wollen nicht, dass jemand auf dumme Gedanken kommt und die Situation ausnutzt. Wir werden in Neustadt niemandem begegnen.«
Und wenn doch, beschloss sie, werde ich mich um sie kümmern.
»Ich denke nicht … nein.« Ihre feinen Lippen blieben regungslos. »Falls ich beschließen sollte wegzugehen, werde ich das gleich morgen früh tun.«
»Und wenn die Südländer Sie heute Nacht holen kommen? Sie sind an die Wüste und an das Reisen bei Nacht gewöhnt.«
»Ich werde nicht allein auf Ihr Wort hin meine Kinder nehmen und das Haus verlassen, Mistress Floria«, erwiderte sie knapp. »Zunächst einmal glaube ich kaum, dass wir es schaffen, uns in Sicherheit zu bringen, wenn mein Sohn und meine Tochter die ganze Zeit über vor Angst schreien. Ich danke Ihnen für Ihre Sorge, und wenn ich es für richtig halte, werde ich dementsprechend handeln.«
So gab sich die Frau, die Tam seit fast fünf Jahren abwies, obwohl er ein anständiger Mann und so vernarrt in sie war, wie es sich eine Frau nur wünschen konnte. Aber sie hatte nicht ganz unrecht, was die Kinder und deren Lärm betraf. Floria wäre vielleicht in der Lage gewesen, sogar aus einfachen Haushaltskräutern einen Trank zu brauen, um sie zu betäuben; hätte sie nicht so viel Wasser im Gehirn wie in den Ohren gehabt, hätte sie einen Trank gleich mitgebracht.
»In Ordnung«, sagte sie. »Wenn Sie gehen, nehmen Sie keine Talismane und nichts mit, das Tam gemacht hat – nicht einmal einen Schutz oder Spielzeug für die
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