Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
sich. Sebastien sagte verstimmt: »Es gibt keine Kutschen. Ich will meine Energie nicht darauf verschwenden, uns zu heben.«
Er hat Angst, dachte Balthasar, und diese Erkenntnis durchdrang seinen dumpfen Geist. Er rappelte sich hoch. »Wohin gehen wir?«
»In deinen Rat zu der lichtgeborenen Prinzessin – wer immer sie ist – und ihrem Adel. Sie werden alle dort sein, um sich mit dem Erzherzog und seinem Führungsrat zu treffen.«
Balthasar zwang sich, auf die Untertöne dieser hämischen Worte zu achten. Leise erwiderte er: »Du musst das nicht tun.«
Der Junge in der Gestalt seines Bruders blieb stehen und fuhr zu ihm herum. » Was muss ich nicht tun?«
»Was immer du vorhast … « Nein, das war zu schwach. »Den Erzherzog töten, die Prinzessin töten – ist es das?«
»Du glaubst nicht, dass ich es tun kann? Ich bin ein starker Magier.«
»Ja«, gab Balthasar ihm recht. »Ich glaube, du bist durchaus dazu imstande.«
»Gut.«
»Ich glaube außerdem, dass du nicht verstehst, was du da tust. Aber es übersteigt meine Fähigkeiten, dich zum Verstehen zu bringen – oder auch nur einen Funken dazu in dir zu entfachen –, bevor wir den Rat erreichen.«
Das Eingeständnis weckte in ihm einen vagen Impuls der Besorgnis. Er musste vorsichtig sein – er brauchte etwas, das er gegen die Verhexung einsetzen konnte. »Tercelles Kinder – es sind deine, nicht wahr? Hand aufs Herz?«
»Denkst du, ich wäre nicht alt genug?«, entgegnete Sebastien herausfordernd.
Nein, dachte Balthasar. Er war fast zehn Jahre älter als Sebastien gewesen und immer noch nicht alt genug, als die Hebamme ihm Florilinde in die Hände gelegt hatte. In seiner Erinnerung hatte die Hebamme entschieden nichts von ihm gehalten. Telmaine hatte ihm später erzählt, sie sei entrüstet darüber gewesen, dass ihr ein Ehemann im Weg stand, der sich einbildete, auch nur irgendetwas über die Geburt eines Kindes zu wissen. Er keuchte auf und hielt inne, als er sich an ihr Lachen erinnerte. Es fühlte sich an, als hätte er gerade mit einem Skalpell über die offene Wunde seines Verlustes gekratzt. »Hast du für Tercelle Amberley etwas empfunden – irgendetwas?«
Sebastien hielt ihn am Arm fest, wirbelte ihn herum und zerrte dabei an seinen schmerzenden Muskeln. »Ich habe sie geliebt, Dummkopf! Sie war so schön. Wie sie sprach, wie sie den Kopf hielt, ihre Anmut – sie war ganz anders als die Frauen von dort, wo … wo ich herkomme. Sie und ich haben nur ein einziges Mal, es war das erste Mal, dass ich je … ich hatte nicht erwartet … ich habe nicht darüber nachgedacht … ich wusste nicht einmal, dass sie schwanger war. Ich konnte nicht einmal nach ihr suchen, weil Jonquil es erfahren hätte. Und es war alles umsonst. Jonquil ließ sie ermorden. Als ich seinen Tod spürte, habe ich getanzt. Und wenn meinen Söhnen deinetwegen irgendetwas zugestoßen sein sollte, wirst du sterben – auf grausame Weise .« Er fuhr herum und begann zu rennen, aber er verlangsamte sein Tempo nach einem halben Häuserblock zu einem gemessenen Schritt. Vielleicht weinte er, aber wenn dem so war, hatte er sich bereits wieder gefasst, als Balthasar ihn einholte.
Balthasar erwog und verwarf mehrere Fragen, darunter die, ob die Männer, die ihn fast zu Tode geprügelt hatten, von Jonquil oder Sebastien persönlich geschickt worden waren. »Was würdest du gern tun, wenn alles vorüber ist?«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, sobald du getan hast, was man dir aufgetragen hat«, erwiderte Balthasar, der seine Worte mit großer Vorsicht wählte. »Was würdest du tun, wenn du eine Wahl hättest?«
»Verschwinden«, erwiderte Sebastien mit gesenktem Kopf. »Meine Söhne nehmen und weit weg von allen Menschen leben. Ich würde überall magische Talismane aufstellen, damit sich niemand nähern könnte, und falls es doch jemand wagte, würde ich Stürme und Blitze heraufbeschwören. Ich würde ein Haus aus Stein und Erde für meine Söhne bauen, wir würden Früchte und Beeren essen und Hafer, Gerste und Kartoffeln anbauen, aber keinen Salat – ich hasse Salat. Und wir hätten Fleisch. Wir würden Steine sammeln – wunderschöne Steine – und Mosaiken machen. Du lachst mich aus.«
»Nein«, antwortete Balthasar. »Nein, das tue ich nicht.«
Vielleicht gelang es ihm nicht ganz, die Traurigkeit aus seiner Stimme fernzuhalten, denn Sebastien hielt inne. »Das hast du mir jetzt aber nicht abgenommen, oder? Das ist der Ort, wo ich wirklich leben
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