Schattengefährte
Bündel, das man mit einem Draht aus Silber umwickelt hatte.
»Ein Rabenkleid! Woher habt ihr es?«
Die Zwergin bewegte die runzlige Stirn und richtete die Laterne rasch in die andere Ecke der Kammer, wo spitze und gebogene Hörner irgendwelcher seltsamen Wesen aufgereiht lagen.
»Gefunden«, wisperte sie. »Lagen im Weg und wir nahmen sie mit. Zwerge hüten und bewahren. Gehen wir jetzt zurück.«
Obgleich die Ecke reichlich dunkel war, erkannte Alina doch, dass dort nicht nur ein einziges, sondern mehrere Bündel lagen, denn der silberne Draht, mit dem man sie zusammengebunden hatte, glänzte ziemlich deutlich. Wie seltsam, dass Rabenkrieger ihr Federkleid verlieren konnten. Viel wahrscheinlicher war jedoch, dass die gierigen Zwerge es ihnen gestohlen hatten, um es bei den Feen gegen irgendwelche Kostbarkeiten einzutauschen. Dann aber war Mirdir fortgezogen, und nun saßen die Zwerge auf ihrem Diebesgut.
Schweigend traten sie den Rückweg an, der kreuz und quer durch den Berg führte, und Alina wagte nicht mehr, die Zwergin danach zu fragen, wo der Gang endete, denn sie fürchtete, Gora könnte misstrauisch werden. Sicher war jedoch, dass es ziemlich aussichtslos sein würde, auf diese Weise das Hügelland zu erreichen – es sei denn, man hatte einen Zwerg zum Führer. Als sie endlich mit schmerzendem Rücken wieder in der Eingangshalle der kalten Burg angekommen war, erschien ihr dieser Saal klein und ärmlich gegen die prächtige Felsenhöhle tief unten im Schoß des Berges. Dennoch sehnte sie sich nicht zurück in die kalte Herrlichkeit des Zwergenpalastes, stattdessen lief sie zu der kleinen Tür dicht neben der weißgefrorenen Eingangspforte und sah nach ihrem kleinen Garten.
Liebevoll streichelte sie die Blättchen, berührte die kleine weiße Blüte sacht mit dem Finger und begoss ihre Pflanzen mit frischem Quellwasser. Konnte es sein, dass sie schon ein wenig kräftiger geworden waren, nur weil eine Fee sie besuchte? Ach, das bildete sie sich bestimmt nur ein, und außerdem war sie keine richtige Fee, denn ihr Vater war ein Mensch.
Kapitel 20
Als sie durch die Halle zu ihrem Schlafgemach lief, dröhnte hinter ihr ein heller, metallischer Schlag, so dass sie vor Schreck zusammenfuhr. Auf leisen Sohlen war Morin, der Zwerg, herbeigekommen, um den eisernen Riegel der Eingangspforte mit seinem Hammer zu schließen. Morin nickte ihr zu, ohne eine einzige Falte seines Gesichts zu verziehen, doch seine tiefliegenden, dunklen Äuglein waren mit großer Aufmerksamkeit auf sie gerichtet. Alina grüßte ihn freundlich, doch sie hatte wenig Lust auf ein Gespräch und ging eilig davon.
In ihrem Gemach erwartete sie eine Überraschung. Auf dem Bett saß Fandur, die Arme auf die Knie gestützt, neben ihm ein großer, geflochtener Korb voller grüner Zweige, Blüten und duftender Früchte. Verwirrt blieb sie auf der Schwelle stehen – hatte sie tatsächlich den ganzen Tag mit Gora in den Höhlen der Zwerge verbracht? Sie hatte geglaubt, nur wenige Stunden dort gewesen zu sein.
»Du scheinst mich wenig vermisst zu haben«, sagte er mit leichtem Vorwurf. »Dabei bin ich meilenweit geflogen, um diese Geschenke für dich zu finden.«
Als sie lächelnd auf ihn zulief, erhob er sich rasch und fing sie in seinen Armen auf. Entzückt spürte sie den raschen Schlag seines Herzens, ein vertrautes und doch zugleich beunruhigendes Pochen, eine glückselige Spannung und ein erregendes Versprechen.
»Ist es denn schon Abend?«
»Noch nicht«, gestand er. »Aber es zog mich zu dir, und so kam ich noch bei Tag. Soll ich wieder fortfliegen?«
»Nur wenn du mich auf deinen Rücken nimmst!«
Er überging die Anspielung, der Sinn schien ihm nicht nach Flügen in Rabengestalt zu stehen. Es knisterte, als er über ihr Haar strich, und in seinem Blick flammte Begehren auf, doch er bezwang sich. Sanft schob er sie ein wenig von sich, hielt sie jedoch bei den Schultern und besah sie von oben bis unten.
»Was für ein wunderschönes Kleid, Feentochter. Stammt es aus meinen Truhen?«
»Gora brachte es mir heute früh. Es ist ein Geschenk der Zwerge an Etains Tochter.«
»Ich dachte schon, dass sie mir den Rang ablaufen«, knurrte er, halb belustigt, halb ärgerlich. »Dabei habe ich sie nach Feenkleidern gefragt und hätte sie ihnen abgehandelt.«
Ihre Freude über die duftenden Früchte und Blüten besänftigte ihn. Lächelnd sah er zu, wie sie den Korb untersuchte, und wenn sie entzückte Rufe über eine reife Frucht oder
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