Schattengefährte
Fluss und schließlich ins Hügelland zurückführte. Wenn es so war, dann würde es gut sein, diesen Weg zu kennen. Sie liebte den Rabenkrieger, doch ganz und gar vertrauen wollte sie ihm nicht.
»Magst du mir wieder mit meinem Haar helfen?«, lockte sie die Zwergin.
Gora hatte wohl schon darauf gehofft, denn in ihren Runzeln formte sich ein glückliches Lächeln, und sie griff hastig nach dem Kamm. Ihre Geschicklichkeit hatte leider keine Fortschritte gemacht, fast hätte Alina ihren Entschluss bereut, so eifrig zupfte und zerrte die Zwergin an ihrem Haar herum. Vielleicht lag Goras Ungeschicklichkeit aber auch daran, dass ihr beständig die Augen tränten, das Feenlicht und der flackernde Kamin schienen für Zwergenaugen eine ziemliche Zumutung zu sein.
»Gibt es viele Kammern im Berg?«
»Viele.«
»Und sind sie durch Gänge miteinander verbunden?«
»Freilich.«
Gora war vollkommen in ihre Beschäftigung versunken, und entsprechend einsilbig fielen ihre Antworten aus.
»Gehen sie tief in den Berg hinein?«
»Tief.«
»Und wo enden sie?«
»Überall.«
»Auch auf der anderen Seite des Berges?«
»Auf allen Seiten.«
O weh. Dann musste man sich wohl gut auskennen, um den Weg zum gläsernen Fluss zu finden. Unter Umständen kam man im Land der Wolfskrieger wieder ans Tageslicht. Oder gar bei den Drachen im steinernen Meer.
Gora streifte einige ausgerissene, rotgoldene Löckchen vom Kamm und rollte sie sorgfältig zwischen ihren dicken Finger zusammen, bevor sie sie in den Ärmel schob. Als sie bemerkte, dass Alina den Spiegel zur Hand genommen hatte und sie bei ihrem Tun beobachtete, erschrak sie, und der Kamm fiel ihr aus der Hand. Alina bückte sich rasch, um ihn aufzuheben, gab ihn der Zwergin jedoch nicht zurück, sondern legte ihn auf das Tischlein. Gora schien ein schlechtes Gewissen zu haben, denn sie berichtete jetzt eifrig von den Schätzen der Zwerge.
»Klein sind die Kammern. Dunkelheit herrscht. Aber kostbar sind die Schätze. Edelstein und Diamant.«
»Zeigst du mir die Schätze, Gora?«
Die schwarzen Augen der Zwergin bekamen einen rötlichen Glanz, der Alina ein wenig verunsicherte, denn sie wusste nicht recht, ob diese Färbung Ärger oder Freude bedeutete. Doch Goras faltige Haut verzog sich zu einem stummen Lachen, wahrhaftig, man sah sogar ihre kleinen, spitzen Zähnchen, die an eine Maus erinnerten.
»Erst musst du essen«, forderte sie. »Dann führe ich dich. Wunderbare Dinge. Roter Rubin. Weißer Mondstein. Auge des Tigers. Bunte Blumen des Berges.«
Obgleich Alina vor Aufregung keinen Hunger verspürte, würgte sie doch brav einiges von der Zwergenkost hinunter, denn sie wollte Gora jetzt auf keinen Fall enttäuschen. Ob die Zwerge selbst auch diesen zähen, klebrigen Brei aßen? Oder kochte ihn Gora nur für ihren Gast?
Die Zwergin hatte inzwischen eine Laterne geholt, und das Rätsel der blauen Flämmchen löste sich jetzt, denn in der kleinen, viereckigen Laterne steckten dünn geschliffene Scheiben aus blauem Edelstein. Leichtfüßig und ohne ein Geräusch zu hinterlassen, lief Gora mit dem Licht voran, drehte nur hin und wieder den Kopf, um zu sehen, ob ihr die Fee auch folgte. Es sah merkwürdig aus, denn der große Kopf der Zwergin schien keinen Hals zu haben, er saß direkt auf ihren Schultern, und es schien fast ein Wunder, dass sie ihn überhaupt drehen konnte.
Gora huschte eilig durch die große Halle und stieß eine der eiskristallbesetzten Türen auf, sie tat es so hastig, dass Alina der Verdacht kam, die Zwergin wolle diesen Ausflug vor ihrem Mann geheim halten. Sie gingen durch die Zimmerfluchten, die Fandur mit Truhen, Gewändern und allerlei Kostbarkeiten gefüllt hatte, doch weder Alina noch ihre Führerin beachteten diese Dinge. Auch an den blitzenden Waffen und Rüstungen liefen sie gleichgültig vorüber, kümmerten sich weder um goldene Geräte noch um zierliches Geschmeide. Dann, endlich, war der Bereich, den Fandur für sich beanspruchte, zu Ende, und sie traten in das unterirdische Labyrinth der Zwerge.
Es war nicht gerade einfach für Alina. Schon die Pforte war so niedrig, dass sie den Kopf einziehen musste, und dem Gang dahinter konnte sie nur in gebückter Stellung folgen. Morin schien wenig Wert auf glatte Wände und einen ebenen Fußboden zu legen, er hatte den Gang ziemlich grob aus dem Fels gehauen, überall standen scharfkantige Steine hervor, und der Boden war so unregelmäßig, dass es schon scharfer Feenaugen bedurfte, um im
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