Schattengefährte
einen besonders schönen Blütenzweig hören ließ, trat ein seltsames Glitzern in seine schwarzen Rabenaugen, als seien ihm Wassertröpfchen hineingekommen. Lange wehrte er sich, doch schließlich nahm er einen kleinen roten Apfel aus ihrer Hand, und sie schmausten gemeinsam, auf dem Boden hockend, wie zwei Kinder, die sich über einen Korb Obst hermachten.
»Erklär mir, was die Zwerge essen. Was ist das für ein Zeug …«
Er grinste und erzählte ihr, dass die Zwerge sich große Vorräte an Getreide anlegten, sie tauschten es ein gegen Eisen, Silber oder Gold. Auch Donn, der Händler ihres Vaters, machte mit ihnen Geschäfte, die Metalle wurden zu den Handwerkern am roten Berg gebracht, um dort verarbeitet zu werden. Alina schüttelte den Kopf, es war kaum fassbar, dass man ihr hatte erzählen wollen, es gäbe weder Zwerge noch Drachen noch Feen. Und nicht nur ihr – König Angus hatte diese Lügen im ganzen Hügelland verbreiten lassen. Weshalb?
»Er glaubte, auf diese Weise die Fee vergessen zu können, die er liebte«, sagte Fandur leise. »Er verschloss einfach die Augen vor der Wahrheit und zwang sein ganzes Königreich dazu, es ebenso zu tun.«
»Ist es wahr, dass Feen nicht sterben?«
»Ja, Alina. Feen wandeln sich, doch sie vergehen nicht.«
»Aber weshalb verschwand Etain aus der Burg und ließ mich allein?«
»Sie ließ dich nicht allein, Alina. Sie war immer in deiner Nähe, auch wenn du es nicht ahntest.«
»In der Quelle im Haselhain?«
»Auch dort.«
Es klang tröstlich – ihre Mutter war nicht tot, sie hatte sich nur verwandelt, sie war ein Baum, eine Quelle oder eine Blume. Sie lebte im Wind oder in den Nebelschwaden, die um die Burg ihres Vaters zogen. Vielleicht war sie sogar in diesen blühenden Zweigen, die Fandur ihr gebracht hatte?
»Feen leben ewig«, sagte sie nachdenklich. »Was aber ist mit den Rabenkriegern?«
»Auch Rabenkrieger sterben nicht«, verkündete Fandur. »Andere Zwischenwesen jedoch fallen dem Tod anheim, allerdings werden sie sehr viel älter als die Menschen. Drachen und Zwerge gehören zu dieser Sorte, sie können auch im Kampf sterben, doch wenn sie nicht gewaltsam getötet werden, leben sie viele Jahrhunderte lang.«
Es war aufregend, alle diese Dinge zu erfahren, die man ihr so lange verschwiegen hatte, sie kam sich vor wie ein unwissendes Kind, das begierig an den Lippen des Lehrers hing.
»Weshalb sterben die einen und die anderen nicht?«
»Feen sind ein Teil des Erdengrüns, solange es Wälder, Wiesen und Gewässer gibt, werden die Feen dort wohnen.«
»Und die Rabenkrieger?«
Er räusperte sich und setze sich auf die Bettkante, um die Stiefel auszuziehen. Dann fuhr er mit der Hand durch seinen schwarzen Haarschopf, der sich schon wieder sträuben wollte.
»Rabenkrieger sind ein Teil des Himmels, sie sind unvergänglich wie Mond und Sterne.«
Sehr einleuchtend klang das nicht, denn schließlich lebten die Raben keineswegs nur in der Luft. Meistens hockten sie auf Bäumen, Mauern oder Felsen, doch sie wollte an seinen Worten nicht zweifeln. Stattdessen setzte sie sich jetzt neben ihn und erzählte von ihrer Leidenschaft für Sonne und Wind, von den duftenden Wiesen und den bunten Wäldern des Hügellands, von ihrer geliebten Stute Niam, und da sie bemerkte, dass er ihr aufmerksam zuhörte, berichtete sie auch von den Gesängen der Feen, die sie an der Quelle gehört hatte.
»Möchtest du sie für mich singen?«
»Wenn du Freude daran hast …«
Sie wählte einige der schönsten Weisen aus, und sie war selbst erstaunt, dass ihre Stimme so zart im Raum schwang, als führe man mit dem Finger über den Rand eines Glasgefäßes. Fandur blickte sie mit weit offenen Augen an, Staunen und Entzücken lagen in seinem Blick, und zu ihrer Verwirrung stellte sie fest, dass sie ihr eigenes Bild in seinen glänzenden schwarzen Pupillen sehen konnte.
»Es klingt unsagbar schön«, sagte er leise, als sie geendet hatte. »Sie machen mich traurig«, gab sie zurück. »Fast alle Feenlieder, die ich kenne, tragen einen geheimnisvollen Kummer in sich. Deshalb höre ich jetzt lieber auf zu singen.«
Sein Arm legte sich um ihre Schultern, mit einer langsamen Bewegung zog er sie an seine Brust und hielt sie umschlungen.
»Solange ich bei dir bin, sollst du nicht traurig sein, Alina«, murmelte er. »Ich wünschte, ich könnte dir Sonne und Wind schenken, die grünen Hügel und die dichten Wälder und auch die murmelnde Quelle, an der die Feen wohnen. Doch das
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