Schattengefährte
bläulichen Laternenlicht nicht zu stolpern. Bald führte der Weg stufenweise abwärts, die geheimen Kammern der Zwerge schienen tief unten im Schoß des Berges zu liegen.
Es war müßig, über die Richtung nachzudenken, denn der enge Gang wand sich mal hierhin, mal dorthin, vielleicht bewegten sie sich nach Westen, wo das Hügelland lag, vielleicht gingen sie auch einfach nur im Kreis.
»Schau!«, sagte Gora unvermittelt und hielt ihre Laterne in die Höhe. »Palast der Zwerge. Hoch wie der Himmel. Glänzt wie Mond und Sterne.«
Eine gewaltige Halle tat sich vor ihnen auf, so hoch wie kein Mensch sie hätte erbauen können. Glitzernde Kristalle wuchsen von der Decke herab, stiegen in schmalen Säulen vom Boden auf, bedeckten die Felswände, und als Alina voller Staunen einige Schritte in diese Zauberwelt wagte, funkelte der kristallene Schmuck plötzlich in hellem Rosé, in zartem Grün und in dunklem Violett.
»Feenlicht gibt leuchtende Farben«, flüsterte die Zwergin, die sich die tränenden Augen wischen musste. »Schöner als je zuvor ist der Palast.«
In der Mitte der riesigen Berghöhle lag ein kreisrunder See, auf dessen glatter Oberfläche sich die glitzernden Farben wie ein buntes Feuerwerk spiegelten. Langsam durchquerten sie den hohen Raum, und Alina stellte fest, dass hier unzählige breite und schmälere Gänge mündeten – wer hier den rechten Weg finden wollte, der musste sich gut auskennen. Gora brauchte nicht einmal nachzudenken, sie wählte einen der höheren Eingänge, und schon nach wenigen Schritten standen sie vor einer kleinen Pforte. Sie war aus grauem Holz gefertigt, alt und hart wie Stein und mit silbernen Türbeschlägen.
»Schätze gibt es viele. Tage braucht man, um alles anzusehen. Ich zeige dir das Kostbarste, Feenkind.«
Woher hatte sie den großen, eisernen Schlüssel genommen? Vermutlich hatte er in ihrem Ärmel gesteckt, in dem Zwerge wohl allerlei Dinge aufbewahren konnten. Das Schloss knirschte unwillig, als der Schlüssel sich drehte, als wehre es sich dagegen, Einlass in die Schatzkammer der Zwerge zu geben.
So geheimnisvoll Gora auch getan hatte – Alina war von den Kostbarkeiten eher enttäuscht. Edelsteine und Diamanten lagen aufgehäuft, füllten steinerne Becken und hölzerne Truhen, Gold war aus dem Berg herausgeschmolzen worden, zu dicken Tropfen geformt lag es in breiten Schalen, Silberbarren stapelten sich, füllten ganze Kammern, und eiserne Stäbe warteten darauf, mit anderen Metallen legiert, zu scharfen Schwertern geschmiedet zu werden.
Fröstelnd lief Alina hinter der Zwergin her, fragte immer wieder, wohin dieser Gang denn führe und wo er ende, doch sie erhielt darauf nur vage Antworten. Gora öffnete eine Kammer nach der anderen, sie war hingerissen von dem Funkeln und Glitzern ihrer Schätze, das durch Alinas rotgoldenes Haar hervorgerufen wurde, und sie rief immer wieder entzückt, dass sie nie zuvor solchen Glanz geschaut haben. Dabei blinzelte sie, und die Tränen liefen ihr über die Wangen, vermutlich waren Zwergenaugen nur für bläuliches Licht geschaffen.
Das Einzige, das Alina gefiel, waren die weißen und rosigen Perlen, die die Zwerge in einem hohen Gefäß aus klarem Bergkristall aufbewahrten, denn sie erinnerte sich daran, dass Morin sie von den Feen erhalten hatte. Auch die Gewänder, die sie trug, hatte Gora Feenkleider genannt, hatte der Zwerg sie auch eingetauscht?
»Feenkleider bewahren die Zwerge«, wisperte Gora. »Auch andere Zauberdinge, die wir finden. Willst du sie sehen?«
»Gern.«
Die Pforte, hinter der sich diese Sammlung befand, war nicht einmal verschlossen, Gora drückte nur mit ihrer großen Hand dagegen, da schob sie sich knarrend auf.
»Schöne und hässliche Dinge«, piepste sie und hielt ihre Laterne in die Höhe. »Ist selten, aber nicht viel wert. Zwerge hüten und bewahren. Tauschen gern gegen glitzernde Schätze.«
Schaudernd erkannte Alina einige gelbliche, spitze Drachenzähne, die auf einem Steinvorsprung schön ordentlich der Größe nach aufgereiht waren. In einer halbzerfallenen Truhe fanden sich zarte grünliche Schleier, die wohl den Feen gehört hatten, jetzt aber waren sie zerrissen. Die beiden weißen Stäbe aus gebleichtem Knochen waren ganz und gar mit seltsamen eingeritzten Zeichen bedeckt, es seien Zauberstäbe, erklärte die Zwergin, doch da ihre Besitzer schon lange tot seien, hätten sie ihre Kraft eingebüßt. Zuletzt entdeckten Alinas scharfe Augen ein schwarzes, recht zerrupftes
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