Schattengefährte
Gewalt gebracht habt, ist der Rest einfach. Niemand kann Nemed leiden, nur aus Angst gehorchen sie ihm. Alle hier in der Burg wünschen sich Fandur, den Rabenkrieger, zum Herrscher.«
Trotz des Trubels im königlichen Gemach war auch ihm diese Tatsache nicht entgangen. Doch er wusste auch recht gut, weshalb die Burgbewohner den Rabenkrieger bevorzugten.
»Ich kann das königliche Heer führen, Alina, wenn dein Vater es nicht mehr vermag, denn ich bin ein Mann und ein Krieger. Gegen die Drachen jedoch bin ich machtlos – nur dein Bogen wird uns gegen sie schützen, meine mächtige Fee.«
Sie schwieg, denn sie wollte ihm nicht den Mut nehmen. Er hatte schon die Arme erhoben, und Alina sah, wie die Federn, die überall am Boden verstreut waren, in Bewegung gerieten.
Er küsste sie nicht zum Abschied, denn er war nur noch von seinem Plan eingenommen.
»Wann wirst du mich hier aus dem Kerker herausholen?«, fragte sie sorgenvoll.
Er hatte schon das Wort auf den Lippen, jetzt aber hielt er noch einmal inne und grinste verschmitzt.
»Sobald ich es kann. Vorerst bist du hier unten sicherer als oben im Kampfgetümmel.«
Dann sprach er den Namen der Göttin aus, er sprach ihn dreimal, und Alina erfasste unwillkürlich ein Schauder bei seinem Klang.
»Morrigan … Morrigan … Morrigan …«
Die Verwandlung vollzog sich schneller, als sie es geglaubt hatte, sein Körper schrumpfte, Federn flogen von allen Seiten herbei, bildeten ein wirbelndes Büschel, formten sich zu einem Raben. Geschickt und kraftvoll flatterte er in die Höhe, krallte sich von unten am Gitter fest, und sie hörte ihn flüstern.
»Sie schlafen, die Dummköpfe. Es ist ein leichtes Spiel.«
Weshalb zitterte sie plötzlich in panischer Furcht? Es gab keinen Grund dafür, alles würde ganz einfach sein. Sie sah, wie er sich durch das Gitter zwängte, und glaubte, vor Angst sterben zu müssen, denn er war auch als Rabe größer und breiter als sie und war nahe daran, steckenzubleiben. Doch es gelang, und sie lauschte mit unruhig schlagendem Herzen auf die Rufe der Wächter. Schliefen sie wirklich? Oder hatten sie ihn nur getäuscht? Würde sie gleich das metallisch scharfe Geräusch ihrer Schwerter hören, die auf das Gitter eindroschen?
Doch der Laut, den sie jetzt vernahm, klang fürchterlicher in ihren Ohren als menschliche Kampfrufe und klingende Waffen. Sie hörte einen Schrei – gellend und wild drang er in ihre Ohren, gierig und unversöhnlich schrie die Göttin nach dem ungehorsamen Vasallen. Raben krächzten, ließen tiefe, kollernde Laute hören, es mussten zahllose schwarze Vögel im Turm versammelt sein – die Göttin war nicht ohne ihre Krieger erschienen.
Verzweifelt sank sie zu Boden – was wollte diese grausige Göttin noch von Fandur? Hatte sie ihn nicht genug gestraft?
Kapitel 30
Die Schreie verhallten rasch, auch das Schnarren und Krächzen der Raben verging, die Schatten ihrer Körper, die über das Gitter gestrichen waren, verschwanden. Dafür flackerte für kurze Zeit greller gelbroter Schein auf – sie vernahm die verängstigten Stimmen der Wächter und begriff, dass eine der Lampen umgestürzt sein musste, vermutlich hatte sie dabei einen Mantel oder eine Decke in Brand gesetzt.
Das Feuer fand jedoch kaum Nahrung und erlosch, kalt und feucht legte sich das Schweigen des Kerkers über sie. Nichts regte sich mehr in dem Turmraum über ihr, durch das Netz der eisernen Gitterstäbe schimmerte das wenige Morgenlicht, das die kleinen Maueröffnungen einließen.
»Fandur!«
Ihre Stimme klang dumpf, die dicken Mauern verschluckten den Klang. Es kam keine Antwort. Sie hockte sich auf den Boden und kämpfte gegen die Verzweiflung an. Noch war nichts entschieden. Noch war es möglich, dass Fandur der Morrigan entkommen war, dass er sich in ihr Schlafgemach geflüchtet hatte, um sich zu verwandeln und seinen Plan auszuführen. Doch so sehr sie es erhoffte, ihr Gefühl sagte ihr, dass es ihm nicht gelungen war. Viel wahrscheinlicher war, dass er dort oben in der Turmkammer lag, tot und steif, von der eifersüchtigen Göttin und ihren Kriegern erschlagen. Ach, sie hatten die grausige Göttin herausgefordert, zweimal hatten sie ihren Namen gerufen, um die Verwandlung zu vollziehen – kein Wunder, dass sie schließlich herbeigekommen war. Weshalb regte sich dort oben nichts? Wo waren die Wächter? Weshalb kam niemand in den Turm, um nachzusehen, was geschehen war? Sie rief, doch sie ließ es bald wieder, denn die dicken
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