Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
Anteil, sonst sind die Kohlstrünke alle!«
    Sie achtete jetzt nicht mehr auf den Raben, denn ihre Gedanken waren immer noch mit Ogyn beschäftigt. Was würde er wohl zu den Drachen sagen? Vermutlich redete er sich heraus und behauptete, es seien Tiere. Genau wie Pferde, Kühe, Rehe oder Wildschweine. Aber wer hätte je erlebt, dass ein Pferd heiße Glut spuckte? Oder dass eine Kuh sich mit gezackten Flügeln in die Lüfte erhob? Nein – Drachen waren keine richtigen Tiere, sie gehörten zu jenen Wesen, von denen Ogyn behauptete, es gäbe sie nicht. Nun ja – es gab sie ja wirklich nicht mehr, denn sie sollten ja alle tot sein. Aber vor zwanzig Jahren hatte es Drachen gegeben, da konnte Ogyn sich auf den Kopf stellen, es war die Wahrheit.
    Das Gekreische der Raben im Burggraben war bis hinauf zu ihrem Fenster zu hören, die Hunde waren jetzt hinausgelaufen, denn obgleich sie ihr Futter erhalten hatten, wollten sie den Raben ein paar Knochen wegschnappen. Plötzlich jedoch erklang ein tiefes, heiseres Krächzen ganz aus der Nähe, und Alina fuhr erschrocken zusammen. Da saß er auf einem Zweig der Linde, der seltsame schwarze Vogel und reckte den Hals in ihre Richtung, und jetzt erkannte sie auch die weiße Feder an seinem Kopf. Kein Zweifel, er hatte eine Vorliebe für sie entwickelt. Dieser Rabe schien von ihrer Person so fasziniert, dass er sogar auf den köstlichen Rabenschmaus im Burggraben verzichtete, nur um sie anstarren zu können.
    Sie kicherte, denn eigentlich war es lustig, einen Verehrer im Rabenkleid zu haben. Ob es ihr rotgoldenes Haar war, das ihn so anzog? Möglich war es schon. Wenn sie es schlau anfing, dann konnte sie ihn vielleicht sogar zähmen und ihm Kunststücke beibringen. Raben sollten kluge Kerlchen sein. Er könnte ihren Kamm herbeibringen, die seidenen Tücher, die bestickten Lederpantoffeln, die Schreibfeder, ein Pergament …
    Sie schielte hinüber zur Linde und traf die starren, aufmerksamen Augen des Vogels. Trotz des trüben Tageslichts schienen sie zu glänzen, und von ihrem intensiven Blick ging eine seltsame Magie aus, eine kreisende, saugende Kraft, die sie schwindelig machte. Für einen Augenblick glaubte sie, die samtige Schwärze weitete sich zu einem menschlichen Auge, dunkel und sanft, zugleich aber loderte eine gefährliche Flamme darin.
    Noch sah sie gebannt zu dem blauschwarzen Gast hinüber, da zerriss urplötzlich ein gewaltiger Donner die Stille. Krachend und knatternd fuhr es über den Himmel, als schlüge eine riesige Axt auf totes Holz, gleich darauf zuckte ein Blitz in der Ferne erdwärts wie ein zackig gebogener, gleißender Speer. Ein gelblicher Schein wie von einem fernen Brand lag über der Landschaft, und die Raben stiegen in dichtem Schwarm aus dem Burggraben auf. Mit lautem Geschrei flatterten sie in den gelben Dunst hinein, einer den anderen überholend, aufgeregt, gierig, als gäbe es dort, wo der Blitz in die Erde geschlagen war, lockende Beute.
    Auch der schwarze Gast auf der Linde entfaltete die Schwingen, doch er tat es unwillig, hüpfte von Ast zu Ast und entschloss sich endlich doch, seinen Kameraden zu folgen. Als er über den Burghof flog, sah sie, wie kräftig seine Schwingen die Luft peitschten, der Verlust einer Schwungfeder schien ihn nicht weiter zu stören. Rasch hatte er die Burg hinter sich gelassen, und sein schwarz gezackter Schatten bewegte sich pfeilschnell durch den gelblichen Gewitterdunst, bis er endlich mit dem Rabenschwarm in der Ferne verschmolz.
    »Schließ die Fenster«, hörte sie Nessas scharfe Stimme. »Ein Gewitter ist aufgezogen – willst du, dass es hineinregnet?«
    Möglich, dass sie Nessas Anklopfen nicht gehört hatte – auf jeden Fall war die Stiefmutter in ihr Schlafgemach eingetreten, ohne dass Alina sie dazu aufgefordert hätte. Ärgerlich runzelte sie die Stirn – und zu ihrer größten Überraschung setzte Nessa nun ein fast schuldbewusstes Lächeln auf.
    »Verzeih, dass ich deine Mittagsruhe störe«, sagte sie sanft. »Dein Vater schickt mich, um dir seinen Willen zu verkünden.«
    Alina musste schlucken, denn diese Worte bedeuteten nichts Gutes. Also hatte ihr Vater gar nicht geschlafen, stattdessen hatte er vermutlich die ganze Zeit über mit Nessa gestritten, und ihr falsches Lächeln bedeutete nichts anderes, als dass sie ihren Willen durchgesetzt hatte.
    »Du bemühst dich ganz unnötig«, hielt Alina dagegen. »Ich wollte selbst zu meinem Vater gehen …«
    »Er ist sehr müde und will die nächsten

Weitere Kostenlose Bücher