Schattengefährte
Ärmel über das Gesicht – aber der verdammte Zwerg hatte die Wahrheit gesagt. Niams Fell war weiß, Mähne und Schweif von schimmerndem Silber. Die Stute hatte sich auf der nächtlichen Reise verwandelt.
»Nicht von deinem Vater geschenkt!«, kicherte der Zwerg. »Mirdirs Geschenk ist das Pferd. Dunkelt das Fell für die Augen, der kluge Feenkönig. Ein Feenross für Etains Tochter.«
Alina starrte auf ihre Stute, und nun erst wurde ihr klar, weshalb dieses Pferd sie ohne Müdigkeit und mit sicheren Tritten bis in die Schneeberge getragen hatte. Mirdir hatte sie ihr geschickt und gerade jetzt, auf dieser gefahrvollen Reise, zeigte die kleine Stute ihre wahre Natur. Was hatte das zu bedeuten?
»Mirdir ist mächtig«, flüsterte Gora ihrem Zwergengefährten zu. »Bestraft gierige Zwerge. Besser bescheiden sein. Freundschaft ist gut, Handel ist klug. Nimm nicht das Ross, Morin. Nur die silberne Mähne.«
Niam schnaubte zornig, und Alina verwünschte die verdammten Zwerge, diese beharrlichen Feilscher und Schätzesammler. Nun ja – Niams Mähne würde nachwachsen, somit wäre dieser Handel das kleinere Übel.
»Aber nur ein Stück, so lang wie dein Zeigefinger ist«, gab sie unwillig nach. »Und auch nur dann, wenn ihr uns aus eurem Reich hinausgeleitet.«
Morin rang noch mit sich, trat zu der schnaubenden Stute und versuchte, den langen Zeigefinger prüfend an die Mähne zu halten, doch Niam drehte sich um und wäre er nicht blitzschnell zurückgesprungen, hätte er sich einen festen Tritt mit den scharfen Hinterhufen eingehandelt.
»Viele Gänge hat Morins Reich«, krächzte er mürrisch. »Viele Hallen, noch mehr Ausgänge. Wohin wollt ihr?«
»Dorthin, wo die Morrigan zu finden ist.«
Sie hatte neugierige Fragen erwartet und war schon entschlossen gewesen, ihm so wenig wie möglich zu erzählen, doch Morin schwieg. Er zog die kleinen Augen zusammen, und aus den dunklen Schlitzen blitzte es gefährlich – er war kein Freund der Morrigan, so viel war sicher.
Der Handel war beschlossen, Gora zog eine Schere aus ihrem braunen Ärmel – offensichtlich trugen Zwerge alle erdenklichen Werkzeuge mit sich herum – und Alina nahm Maß an Morins Zeigefinger, um ihrer Stute die Mähne zu kürzen.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie Niam ins Ohr. »Aber es geht dir nicht besser als mir selbst, auch ich musste bei diesen gierigen Zwergen Haare lassen. Tu es mir und Fandur zuliebe, meine schöne Niam.«
Die Stute ließ die Prozedur nur ungern über sich ergehen, sie schüttelte den Kopf und bleckte die hübschen Zähne, und obgleich Alina sie zärtlich streichelte, war dem Feenross anzusehen, dass sie den Zwerg nur allzu gern mit ihren Hufen erwischt hätte. Morin empfing seinen Lohn mit glänzenden Augen, maß sorgfältig nach, ob er auch nicht betrogen worden war, doch angesichts der zornig stampfenden Hufe verzichtete er auf weitere Einwände und stopfte das silberne Haarbüschel in seinen weiten Ärmel. Missmutig sah Alina seinem Treiben zu – nun würden die Zwerge Niams silberne Mähne neben dem rotgoldenen Haar der Fee in irgendeiner dunklen Kammer aufbewahren, um es möglicherweise später gegen andere Kostbarkeiten einzutauschen. Ob Morin wusste, dass Gora das Feenhaar mit einem Rabenkleid bezahlt hatte? Ganz sicher – Morin sah aus wie einer, der tagtäglich durch seine Kammern kroch und alle seine Schätze nachzählte.
Immerhin trennte er sich nun von Bogen und Köcher, reichte beides der Fee, während seine Augen mit Wehmut an der goldenen Sehne hingen.
»Du willst die Morrigan finden?«, zischte er höhnisch. »Dann folge mir.«
Es war ein schwieriger Weg durch das Gewirr der Zwergengänge, und mehrfach fürchtete Alina, dass die kleine Stute im engen Stollen stecken bleiben würde. Behutsam redete sie der zitternden Niam zu, denn sie begriff, dass das Feenross sich hier in einem dunklen Todeslabyrinth wähnte, aus dem es kein Entkommen gab. Leise sang Alina ihrer Stute die Feenlieder vor, die seltsam fremd in dieser Umgebung klangen, doch sie beruhigten Niam und halfen ihr, den schweren Gang zu ertragen.
In uralten Wäldern
Auf nebligen Feldern
Im Wasser der Seen
Auf bergigen Höhen
Im Raunen des Windes
Im Ahnen des Kindes
An jeglichem Ort
Leben wir fort.
Die Mühe wollte kein Ende nehmen, denn immer wieder taten sich neue Hindernisse auf. Schmale Brücken führten über unterirdische Gewässer, manche lagen still, ihre glatte Oberfläche spiegelte die blauen Zwergenlichter, andere
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