Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
Alina wusste nicht, was schlimmer war: die Sorge vor einem Angriff der Wolfskrieger oder die Tatsache, dass sie nun keine Gelegenheit mehr haben würde, mit ihrem Vater zu sprechen. Beides war fatal, es galt zu hoffen und zu warten, denn der Gang der Ereignisse lag nicht in ihrer Hand.
    Im Hof vernahm man jetzt die kräftige Stimme des Königs, der seine Ritter zusammenrief und ihnen den Zweck des Rittes nannte. So kurz und knapp er es auch sagte, es klang erschreckend: Belagerer waren in der Nacht vor einer der königlichen Burgen am Drachenfluss erschienen, und man zog aus, sie zu entsetzen. Seine Rede wurde mit lauten, zornigen Rufen entgegengenommen, die blaugoldenen Banner und Wimpel flogen empor, und die Parole des Königs erscholl vielstimmig aus rauen Männerkehlen. »Der Eber wird siegen!«
    Donnernd ritt das königliche Heer über die hölzerne Zugbrücke, Staub wirbelte in die helle Morgenluft, und im Sonnenlicht warfen die blankgeputzten Helme der Ritter silbrige Blitze. Viele der Raben folgten den Reitern, schwebten als schwarze Begleiter über dem Heer und ihre krächzenden Rufe erschienen Alina bedrohlicher als die kampflustigen Parolen der Ritter.
    Das einzig Gute an der Geschichte war, dass auch Nessas Bruder, der lästige Nemet, mit in den Kampf gezogen war. Es dauerte nicht lange, da erschien Baldin vor ihrer Tür, um ihr zu verkünden, dass ihr Lehrer Ogyn oben in der Studierstube bereits auf sie warte.
    Der Page erschien ihr blass und kummervoll, er nagte an der Unterlippe und wollte rasch davonlaufen, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hatte.
    »Was ist los mit dir, Baldin?«
    Gehorsam blieb er stehen, neigte den Kopf und schob verlegen den rechten Fuß vor. Mit seinen langen, dünnen Beinen hatte er etwas von einem Heupferdchen.
    »Es ist nur …«, murmelte er. »Es ist nur, dass viele Knappen mit in den Kampf reiten durften. Einige sind nicht viel älter als ich, und ich wäre auch so gern …«
    Lächelnd besah sie seine schlaksige Knabengestalt. In ein oder zwei Jahren würde er gewiss ein hübscher Bursche sein, groß und gertenschlank. Dann würden die Ausbilder ihn in ihre Finger bekommen und den liebenswerten kleinen Kerl zu einem finsteren Krieger machen.
    »Jeder von uns hat seine Aufgabe in der Burg zu erfüllen, Baldin. Ich bin sehr froh darüber, dass du uns als Page dienst. Du wirst mir fehlen, wenn du erst ein Knappe bist.«
    Er errötete so tief, dass seine Ohren zu glühen schienen und war schon halb getröstet. Er fasste sogar den Mut, ihr eine Antwort zu geben.
    »Viel lieber würde ich Euch als ein Ritter des Königs dienen, Herrin. Ich würde mein Leben für Euch wagen, das schwöre ich.«
    »Dazu ist immer noch Zeit«, entgegnete sie leichthin.
    Er verneigte sich linkisch und trabte davon. Wahrhaftig, er glich einem Heuhüpfer, wenn er so rasch dahinlief.
    Ogyn trug heute ein Gewand, das seine linke Körperhälfte grün, die rechte aber violett kleidete. Die Beinlinge dazu waren aus dem gleichen Stoff, er trug sie jedoch vertauscht, grünes Bein zu violettem Gewand, violettes Bein zu grünem Gewand. Es sah ausnehmend scheußlich aus, Alina hätte am liebsten die Augen zugemacht.
    Sie legte ihm das zerfetzte und verwischte Pergament mit freundlichem Lächeln vor und erklärte, ein Windhauch habe es von ihrem Fenstersims geradewegs in die Schüssel mit dem Waschwasser geweht.
    »Wie bedauerlich!«, sagte er. »Und der Riss – wie ist der entstanden?«
    Sie beobachtete ihn genau, doch sein fettes Gesicht drückte nur Ärger aus, nicht jedoch das boshafte Grinsen eines Menschen, der es besser weiß. Nein – Ogyn hatte wirklich nichts mit dem merkwürdigen Wiederauftauchen dieses Pergaments zu tun.
    »Ich hängte es zum Trocknen ans Fenster, da hat es ein Rabe gestohlen, und als ich es ihm aus dem Schnabel riss, wurde es leider beschädigt«, schwindelte sie munter drauflos.
    Weshalb sollte sie ihn nicht belügen? Er log ja auch die ganze Zeit .
    »Ein Rabe, sagt Ihr?«
    Diese Geschichte erschien ihm wohl doch etwas fragwürdig, und er blickte sie misstrauisch an.
    »Ich habe noch niemals erlebt, dass ein Rabe ein Pergament gestohlen hätte. Sie lieben glänzende Dinge, diese Strolche, auch stürzen sie sich auf jeden Leckerbissen, aber ein Pergament ist weiß, und man kann es nicht fressen …«
    »Vielleicht war es ja gar kein Rabe.«
    »Kein Rabe? Aber Ihr sagtet doch, Ihr hättet ihm das Blatt aus dem Schnabel gerissen?«
    »Ich meine, dass der Rabe vielleicht kein

Weitere Kostenlose Bücher