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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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müssen, dabei wäre sie unweigerlich erwacht … Aber er war da, und das Fenster stand weit offen …
    »Wer bist du?«, fragte sie flüsternd.
    »Ein Freund.«
    Seine Stimme war tief und weich, sie hatte nichts mit dem Gekrächze eines Raben zu tun.
    »Wie bist du hereingekommen?«
    Ein Lächeln belebte seine blassen Züge, und sie sah seine Augen blitzen. Er hatte doch etwas von einem Raben, und das war sein spitzbübisches Lächeln.
    »Ich ließ eine Feder hier zurück, ihr Zauber hat mir das Fenster geöffnet.«
    »Eine … Feder?«
    »Hättest du sie aus dem Fenster geworfen, dann wäre ich nicht in der Lage gewesen, in dein Gemach zu fliegen.«
    Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Also hatte sie es selbst in der Hand gehabt, als sie die schwarze Rabenfeder zu sich steckte, anstatt sie fortzuwerfen. Neugierig besah sie ihn, doch er trug nicht etwa das Federkleid eines Raben, sondern ein gut sitzendes, höfisches Gewand aus dunkelblauem Tuch, dazu einen ledernen Gürtel mit silberner Schnalle, dunkle Beinlinge und Stiefel von schwarzem Leder.
    Lächelnd hielt er ihrem Blick stand, es schien ihm sogar zu gefallen, dass sie ihn so eingehend betrachtete, denn er sah an sich herab und rückte die silberne Schnalle zurecht. Er war eitel, der Menschenrabe. Aber er war auch schön, denn seine Gestalt war schlank und ebenmäßig, zeugte von Kraft, die mit Gewandtheit gepaart war. Ganz sicher war er kein übler Krieger.
    Er schien immer noch entschlossen, in der knienden Stellung zu verharren, denn er machte keine Anstalten, sich zu erheben oder gar sich ihrem Bett zu nähern. Es beruhigte sie, denn inzwischen klopfte ihr Herz immer heftiger. Die süßen Empfindungen der vergangenen Nacht stiegen in ihr auf, und sie fürchtete nichts mehr, als dass er ihre Unruhe bemerken könnte, denn sie schämte sich dafür.
    »Was suchst du hier?«
    Für einen Augenblick senkte er den Blick zu Boden, als müsse auch er etwas vor ihr verbergen. Als er die Augen wieder auf sie richtete, waren sie sanft, und es lag ein flehender Ausdruck darin.
    »Dein rotgoldenes Haar hat mich angezogen«, gestand er leise. »Es leuchtet wie die Sonne, und sogar jetzt in der Nacht liegt noch ein heller Schein um dein Haupt.«
    Das war ihr bekannt, und sie hätte ihm gern erwidert, dass auch sie von seinem schwarzen Haar angezogen war, denn es schimmerte im Mondlicht wie geschliffener Achatstein. Doch sie wagte es nicht.
    »Mein Haar?«, meinte sie ein wenig schnippisch. »Wolltest du mir gar eine Strähne davon stehlen?«
    Der flehende Ausdruck verschwand aus seinen Augen, stattdessen blitzten sie auf, und sie hörte ihn leise lachen. Es war ein fröhliches Lachen, tief und heiter, das sie ganz und gar für ihn einnahm.
    »Hältst du mich für einen Dieb?«
    Sie kicherte und versuchte, ihre üppigen Flechten am Hinterkopf zusammenzufassen, als wolle sie ihren goldfarbigen Schmuck vor ihm verbergen.
    »Du bist ein Rabe!«
    »Gewiss.«
    Die Antwort war klar und einfach. Falls sie noch den geringsten Zweifel gehabt hätte, so bewies der dunkle Hügel vor dem Fenster die Wahrheit seiner Worte. Dort lagen Federn, große und kleine, breite Schwungfedern, zarte fiedrige Flaumfederchen, glänzendes Kopfgefieder und glatte, kräftige Schwanzfedern. Das Kleid des Raben, das ihr seltsamer Besucher abgelegt hatte, um sich ihr in seiner menschlichen Gestalt zu zeigen.
    Jetzt endlich erhob er sich, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und obgleich sie keine Furcht vor ihm hatte, wurde ihr doch bedenklich, als er näher zu ihrem Bett trat. Hastig kauerte sie sich zusammen, zog die Knie an und umschloss sie mit den Armen. Ihr Blick musste feindselig gewesen sein, denn er blieb erschrocken stehen.
    »Hab keine Angst, Alina«, bat er mit warmer, dunkler Stimme. »Ich komme, um dir meine Dienste anzutragen.«
    Es klang respektvoll und ritterlich, zugleich aber auch unglaubwürdig. Vor allem angesichts der Federn vor dem Fenster.
    »Wie könnte ein Rabe mir dienen?«
    Er schmunzelte, ihr Spott schien ihn wenig zu stören, im Gegenteil, er schien Gefallen daran zu haben.
    »Als dein Freund und treuer Gefährte.«
    »Was hätte ich davon?«
    »Mehr als du ahnst.«
    Sie holte tief Luft und überlegte, denn das Angebot war ebenso irrwitzig wie diese nächtliche Erscheinung. Und doch verspürte sie eine große Sehnsucht, ihn in ihrer Nähe zu wissen und den Blick seiner dunklen Augen zu spüren.
    »Wirst du alle meine Fragen beantworten?«
    »Soweit ich

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