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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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hatte sie sich gründlich getäuscht. Die Magd führte sie in eine der Kemenaten, die Nessa mit ihren Frauen bewohnte, dort saßen zahlreiche Mädchen und auch ältere Frauen auf Hockern und Truhen, um gemeinsam an einem langen Wandteppich zu sticken. Leises Gekicher entstand, als Nessa der Tochter des Königs kurzerhand einen kleinen Hocker zuwies und ihr die Sticknadel in die Hand gab.
    »Es ist nicht allzu schwer, sogar du wirst das schaffen, Alina«, sagte sie spöttisch. »Die Figuren sind mit dunklen Fäden umrandet, es geht nur darum, sie farbig auszusticken.«
    Kaum hatte Alina sich niedergesetzt, da rückte ihre Nachbarin, die mollige blonde Tochter eines der Ritter ihres Vaters, weit von ihr ab und bemerkte, sie wolle auf keinen Fall für die Knötchen und losen Fäden verantwortlich gemacht werden, die nun unweigerlich die schöne Stickerei verunzieren würden.
    »Da hast du Pech«, gab Alina böse zurück. »Am besten, du schaust gar nicht hin, sonst könnten dir die Tränen kommen.«
    Verächtliche Blicke trafen sie von allen Seiten, wären es Pfeile gewesen, dann wäre sie jetzt damit gespickt wie ein Igel. Nessa hatte alle Frauen und Töchter der adeligen Ritter auf ihrer Seite, sie war die Burgherrin und Königin, niemand außer Alina hatte sich ihr bisher entziehen können. Die Tochter des Königs hatte sich von diesen Frauen immer ferngehalten, sie übte sich sowieso lieber im Reiten und Bogenschießen, als im stickigen Burggemach zu sitzen, um kleine Figürchen auszusticken. Nun aber schien es damit vorbei zu sein.
    Es wurde ein trüber Nachmittag voller Ärger und Langeweile, der sich bis in den Abend hinein dehnte, denn Nessa gefiel es, ihre Schutzbefohlene erst als Letzte gehen zu lassen. Als Alina in ihr Schlafgemach trat, war die rote Sonnenscheibe im Westen schon halb versunken, und ihre letzten Strahlen färbten den Himmel mit blutigem Schein. Sorgenvoll dache Alina an ihren Vater und seine Ritter, die jetzt dort drüben am Drachenfluss gegen die Eindringlinge kämpften. Gewiss würden sie siegen, es konnte gar nicht anders sein, denn das königliche Heer war groß und hatte die Wolfskrieger auch damals aus dem Land vertrieben. Zumindest hatte man ihr das immer erzählt.
    Macha war rührend um sie besorgt, trug Speis und Trank herbei, schüttelte ihre Polster auf und versuchte, ihre junge Herrin ein wenig aufzuheitern.
    »Morgen ist ein neuer Tag, Mädchen. Schlaf dich aus und vergiss deinen Kummer. Vielleicht kehren ja die Kämpfer schon bald zurück. Dann wird dein Vater dir Geschenke bringen, und du wirst wieder ausreiten dürfen …«
    Alina ließ sie reden, denn sie wusste ja, dass Macha es gut mit ihr meinte. Obgleich sie den ganzen Tag nur herumgesessen hatte, konnte sie kaum noch die Augen offen halten. Unfassbar, wie ermüdend diese eintönige Stickerei und das dumme Geschwätz der Frauen doch waren. Als sie in ihrem Bett lag, nahm sie gerade noch wahr, dass Macha sorgfältig die Fenster schloss, dann sank sie in tiefen Schlaf.
    Schöne und beklemmende Traumbilder bemächtigten sich ihrer, ließen sie Glück und Sorge empfinden und zogen vorüber, wie nächtliche Träume es an sich haben. Endlich umgab sie die tiefe, erholsame Dunkelheit, in die nicht einmal die Träume eindringen und die der Seele Erlösung schenkt.
    Ein Rauschen weckte sie, und sie schlug die Augen auf. Durch das weit offen stehende Fenster sah sie den hellen Sichelmond, umgeben von zahllosen blinkenden Sternen. Dann erst fiel ihr Blick auf die dunkle Gestalt neben ihrem Bett, und sie nahm wahr, dass dort, keine zwei Schritte von ihr entfernt, ein Mann am Boden kniete. Es war kein Traum, dessen war sie sich vollkommen sicher, und doch verspürte sie keine Angst, sondern nur eine seltsame Neugier. Das Licht des Mondes fiel auf sein Gesicht und ließ es blass erscheinen, dunkel hoben sich die dichten Wölbungen der Augenbrauen von der hellen Haut ab, die Nase war gerade und edel, die Lippen schmal, doch schön geschwungen. Ein Mondstrahl gab seinem schwarzen Haupthaar einen bläulichen Schimmer und ließ die weiße Strähne hinter seinem rechten Ohr aufleuchten.
    Schweigend kniete er dort, abwartend, die schwarzen Augen auf sie gerichtet, und sie spürte hinter diesem intensiven Blick eine verborgene Glut, die ihren Herzschlag beschleunigte.
    Es war ganz und gar unmöglich, dass er über den Flur in ihr Gemach gekommen war, denn vor ihrer Tür lag Macha, um ihre Herrin zu behüten. Er hätte über sie hinwegsteigen

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