Schattengefährte
Mäntel von den toten Körpern, und die Burg hallte wider von ihren verzweifelten Klagerufen. Auch etliche der Knappen waren unter den Toten, sie hatten wütend gegen den Feind gekämpft, so wie man es sie gelehrt hatte, und sie hatten geglaubt, mit Ruhm bedeckt nach Hause zurückzukehren. Doch der Kampf war ein launischer Herr – mal überhäufte er den Mutigen mit Glanz und Ehre, ein anderes Mal gab er ihm nur den Tod zum Lohn.
Alina hatte sich voller Mitleid unter die Frauen gemischt, versuchte zu helfen und zu trösten, während sie selbst noch starr vor Entsetzen war. Sie kannte jeden einzelnen der Toten, die jungen Ritter, die sie im Saal mit Blicken angeschmachtet hatten, die halbwüchsigen Knappen, die so eifrig und lärmend im Hof ihre Übungen abgehalten hatten, auch der alte Recke war unter den Gefallenen, eine Lanze hatte ihm Brust und Rücken durchbohrt.
Wo war Nessa? Weshalb war sie nicht hier im Hof, um die Frauen anzuweisen? Alles lief durcheinander, überall wurde geweint und geklagt, doch nur wenige kümmerten sich um die verwundeten Männer. Alina rief die alte Macha herbei, befahl ihr, Kräuter und Salben zu bringen, wies andere Mägde an, Leinentücher zu zerschneiden, um sie als Verbände zu benutzen. Sie befahl den Knechten, die Toten vorerst liegen zu lassen – zuerst musste man die Verletzten in die Burggemächer tragen und sie versorgen.
Nie zuvor hatte sie in dieser Weise Befehle erteilt, doch sie spürte, dass das Gesinde vertrauensvoll auf sie blickte und ihre Anweisungen befolgte. Auch die adeligen Frauen, die bisher nur auf Nessas Wort gehört hatten, taten, was Alina ihnen riet, denn die junge Königstochter schien die Einzige in der ganzen Burg zu sein, die in all diesem Jammer nicht den Kopf verlor.
Sie war allgegenwärtig, teilte jedem seine Aufgabe zu, wusste immer Rat, sie tröstete, beruhigte, schlichtete aufkommenden Streit. Erst am Nachmittag erschien die Königin wieder, erteilte eigene Befehle und brachte damit vieles in Unordnung. Man hörte ihre keifende Stimme sogar bis in den Hof hinunter.
»Die Königstochter hat Euch angewiesen? Wie kann sie sich das anmaßen? Mir habt ihr zu gehorchen!«
Nessa ließ alle grünen Zweige von den Mauern wieder abreißen und im Hof aufhäufen. Das Holz war zu frisch, und wollte nicht gleich brennen, erst als man einige trockene Scheite darunter mischte, stieg beißender schwarzer Rauch empor.
»Schickt nach der Königstochter!«, rief Nessa in den Hof hinunter. »Ihr Vater will sie spre...«
Der schwarze Qualm stieg ihr in die Nase, so dass sie husten musste, und sie beeilte sich, das Fenster zu schließen.
»Armes Mädchen«, sagte die alte Macha, die neben Alina bei einem Verwundeten kniete, um ihm einen Kräuterverband aufzulegen. »Du wirst deine Worte klug setzen müssen, denn sie hat Zeit genug gehabt, deinen Vater für sich einzunehmen.«
Alina zweifelte daran. Viel eher hatte ihr Vater sich vor allen zurückgezogen, wie er es oft tat, wenn er trüber Stimmung war. Dann hatte auch Nessa keine Möglichkeit gehabt, mit ihm zu sprechen.
Dennoch stieg sie die Stufen zu den Gemächern des Königspaares langsam hinauf, um gut zu überlegen, was sie dem Vater sagen wollte. Die Leute, die ihr im Treppengang begegneten, lächelten ihr zu – die Königstochter hatte an diesem Tag auch bei Nessas Gefolgschaft viele Bewunderer gefunden.
»Eines Tages wird sie uns eine gute Herrin sein«, murmelte jemand.
»Sie ist es jetzt schon!«, flüsterte ein kleiner Page.
»Nein, sie ist noch viel zu jung!«
»Aber schon klüger als die Königin!«
»Psssst! Pass auf, was du redest!«
Vor den Zimmern, die der König bewohnte, hockte ein Page am Boden, der sich rasch aufrichtete, als Alina aus dem Treppengang trat. Der arme Bursche war bleich wie ein Leintuch und hatte rot geränderte Augen, der Anblick der erschlagenen Knappen, die er noch vor kurzer Zeit so glühend bewundert hatte, war ihm heftig ins Gebein gefahren.
»Euer Vater erwartet Euch im Wohngemach, junge Herrin.«
Er musste kräftig zerren, bis sich die schwere, eichene Pforte knarrend öffnete und Alina eintreten konnte. Es war dämmrig im Wohngemach, die Kerzen in der schön geschmiedeten, kreisrunden Hängelampe waren bis auf wenige Stümpfe erloschen, zwischen den Kräutern, die man am Boden ausgestreut hatte, sah man gelbliche Wachsflecken. Nur schwach blinkte hie und da eines der kostbaren Silbergefäße, die Nessa in den Wandnischen aufbewahrte, die Farben der
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