Schattengefährte
schlanken, weiß gefiederten Pfeilen gefüllt.
»Es ist der Bogen deiner Mutter.«
Sie stand wie erstarrt, die kostbare Waffe schien zu leuchten, und sie vernahm ein leises Singen in ihren Ohren. Es waren die Klänge, die sie an der Quelle so oft vernommen hatte, die Gesänge der Feen, die Lieder ihrer Mutter. Tränen schossen ihr in die Augen, Bogen und Köcher verschwammen vor ihrem Blick.
»So lange hast du diese Waffe vor mir verborgen gehalten«, sagte sie bitter. »Nichts besaß ich, das mich an meine Mutter hätte erinnern können, ihren Teppich hast du zerstören lassen, ihr Name durfte nicht genannt werden. Jetzt aber, da du in größter Not bist, jetzt soll ich mit diesem Bogen Drachen töten!«
»Nicht um mich selbst geht es, Alina«, gab er traurig zurück. »Ich bin bereit, für mein Land in den Kampf zu ziehen und zu sterben, doch gegen die schwarzen Flugbestien bin ich machtlos, und mein Tod würde niemandem Nutzen bringen. Nur du kannst diesen Bogen führen, denn in dir lebt die Zauberkraft der Feen.«
Die Waffe schimmerte, als würde das Licht des Mondes sie anstrahlen, die goldene Sehne glitzerte, grün wie frisches Laub im Sommer glänzte der lederne Köcher. Mit magischer Gewalt zog es sie an, sie hob die Hand, und der lederne Griff des Bogens schmiegte sich in ihre Faust, als habe die Waffe selbst ihre neue Herrin gewählt.
»Sie kommen zurück!«, rief jemand draußen vor der Pforte mit vor Angst überschnappender Stimme. »Wir werden alle sterben, Herr, und nichts als Asche wird von uns bleiben.«
König Angus gab ihm keine Antwort, er blickte seine Tochter an.
»Bist du bereit, Alina, Etains Tochter?«
Noch nie hatte er sie so genannt. Sie nahm nun auch den Köcher aus dem Schrein und hängte ihn über die Schulter.
»Ich bin bereit!«
Kapitel 14
Ihr Vater ging voraus, führte sie den Treppengang hinunter bis in den Hof, in dem jetzt kein Mensch mehr zu sehen war, denn alle Burgbewohner hatten sich in die steinernen Häuser und Gewölbe geflüchtet. Immer noch stieg Rauch zum Himmel auf, in den eingestürzten Gebäuden knisterten kleine Flämmchen, Eimer und Wannen, mit denen man Brunnenwasser und Mist zum Löschen herbeigetragen hatte, lagen verlassen auf dem Hofpflaster.
Nur wenige Kämpfer waren in die gemauerten Wehrtürme gestiegen, um die Burg zu verteidigen, die hölzernen Wehrgänge längs der Mauerzinnen waren leer, zu groß war die Furcht vor dem feurigen Atem der fliegenden Ungeheuer.
»In den Turm!«, rief Angus seiner Tochter zu.
Die schwere Pforte des Burgturms war nur angelehnt, innen drängten sich verängstigte Knechte und Mägde, die hinter den dicken Mauern Schutz suchten. Man hatte sogar das Gitter des Burgverließes angehoben, und einige der Damen wurden an Seilen hinabgelassen. Erschrocken wichen die Menschen zurück, als der König mit seiner Tochter erschien, scheu pressten sie sich gegen die Wände, um die Treppe freizugeben, Geflüster folgte ihnen, denn man hatte den Bogen mit der goldenen Sehne erspäht. Auf halber Höhe, dort wo Alina so lange gefangen gesessen hatte, kam ihnen Fergus entgegen, der oben auf dem Turm Wache gehalten hatte.
»König Branno zieht mit seinem Heer gegen die Burg«, vermeldete er. »Die Drachen fliegen über ihren Köpfen wie ein Schwarm riesiger Fledermäuse.«
»Wir werden sie vom Himmel holen.«
Fergus Blicke hingen an dem Bogen in Alinas Händen, und sein Gesicht leuchtete. Kein Zweifel, er kannte diesen Bogen und wusste, wessen Eigentum er gewesen war.
»Etain«, murmelte er. »Etain, Mirdirs Tochter! Steh uns bei!«
Diffuses Licht umfing sie, als sie auf die Plattform hinaustraten. Der Wind trieb schwarze Wolkenfetzen über den Himmel, ihre Schatten glitten über Burg und Turm gleich einem Rudel gieriger Wölfe, Gespenster der bevorstehenden Schlacht. Der Nebel um die Burg hatte sich gelichtet, hie und da wehte noch grauer Dunst über die Hügel, doch die dunkle Masse des von Norden heranziehenden Heeres war deutlich zu erkennen. Über ihnen schwebten die schwarzen Bestien mit weit gespannten Flügelhäuten, die langen Schlangenhälse vorgestreckt, man konnte sogar die herabhängenden Füße mit den gebogenen Krallen erkennen.
»Ich schütze dich mit meinem Körper«, sagte Angus zu seiner Tochter. »Ziele sorgfältig und achte nicht auf mich.«
War es der Bogen, der ihr in dieser verzweifelten Lage solche Gelassenheit gab? Die Waffe in ihrer Hand schien Kraft und Ruhe auszuströmen, ohne jegliche Angst, ohne
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