Schattengefährte
das sein? Drachen? Das war möglich. Sie hatte etliche dieser Bestien getötet, wenn ein Drache hier auftauchte und sie entdeckte, würde er Rache an ihr nehmen. Sie beschloss, in das kleine Schlafgemach zurückzukehren. Vielleicht hatte Fandur ja doch nicht gelogen, und sie konnte durch das Fenster sehen, wie er über das Tal hinweg davonflog.
Als sie dort eintrat, empfing sie Wärme und Helligkeit, so dass sie für einen Moment verblüfft innehielt. Der Kamin war angefeuert, sein flackernd rötlicher Schein mischte sich mit dem Licht einiger Kerzen, die man auf kunstvoll geschmiedeten, eisernen Leuchtern aufgestellt hatte. Auf einer Truhe war ein weißes Tuch ausgebreitet, mehrere Schüsseln standen darauf, und der köstliche Duft, der den Raum erfüllte, ließ ahnen, dass die Speisen noch warm waren. Von der Zwergin war jedoch nichts zu sehen.
Alina riss den Wandteppich zur Seite und kroch in die Fensternische hinein. Der Tag war nicht weiter vorangeschritten, immer noch erschien sein Licht grau, als sei der Himmel mit dichten Wolken bedeckt. Als sie jedoch die Gitterstäbe mit der Hand berührte, stellte sie fest, dass es nur Eiszapfen waren, die sich leicht abbrechen ließen. Jetzt konnte sie tatsächlich über das ganze Tal hinweg blicken, und sie entdeckte auch den Raben, der mit kräftigen Flügelschlägen in das Grau des Himmels hineinflog. Schwarz und mächtig erschien er ihr vor dem fahlen Wolkenhintergrund, der Wind griff unter seine Flügel und hob ihn empor, trug ihn weit über das Tal davon. Je weiter er sich entfernte, desto kleiner wurde er, schrumpfte zu einem dunklen, doppelt geschwungenen Strich zusammen, und als von der anderen Seite des Tales eine Schar schwarzer Vögel aufstieg, konnte sie ihn bald nicht mehr von seinen Genossen unterscheiden.
»Vorsichtig«, wisperte hinter ihr ein zartes Stimmchen. »Nicht zu weit hinaus. Unten ist der Tod.«
Die Zwergin war ins Zimmer getreten. Alina schaute nach unten, und es schauderte sie, denn der Berg fiel hier steil ins Tal hinab. Im oberen Bereich war der Fels mit Eis bedeckt, weiter unten jedoch trat das nackte graue Gestein hervor, nur an wenigen Kanten und Vorsprüngen hatte sich ein wenig Schnee gehalten. Tief unter ihr am Fuß der Steilwand lag zerborstenes Gestein, das der Frost aus der Wand herausgesprengt hatte, spitze Felsnadeln und eckige Brocken, alle von jener durchsichtigen Eisschicht überzogen, die auch das ganze Tal bedeckte.
Zum Glück war die Sorge der Zwergin unnötig, denn Alina hätte sich nur mit großer Mühe durch die enge Öffnung zwängen können. Sie schob sich rückwärts aus der Nische heraus, schüttelte den Staub aus Mantel und Gewand und zog den Wandteppich wieder an seinen Platz.
Die Zwergin stand neben der Pforte, hielt sich ein wenig gebückt und beobachtete Alina mit kleinen, neugierigen Augen, wie man ein seltenes Tierchen anschaut.
»Ich bin euch zu großem Dank verpflichtet«, redete Alina sie höflich an. »Vor allem für das warme Feuer und das Essen. Aber auch für euren Schutz …«
»Gern geschehen. Gern geschehen«, flüsterte die Zwergin, ohne den Blick von Alina abzuwenden. »Koche so gut ich kann. Feenkind. Rotgoldenes.«
Alina machte sich hungrig über die Speisen her. Es schmeckte recht eintönig, Zwerge schienen sich fast nur von Brei zu ernähren, was darin war, wollte sie lieber nicht so genau wissen, auch die kleinen Fleischbröckchen ließ sie liegen, denn ihr kam in den Sinn, dass es in den Berghöhlen Fledermäuse gab. Keine Kräuter würzten die Speise, dafür war sie stark gesalzen, aber die Zwergin hatte ihr vorsorglich einen Krug mit köstlichem, klarem Bergwasser gebracht.
»Es schmeckt sehr gut …«, schwindelte sie, und jetzt endlich glaubte sie, dass sich die Falten und Runzeln im Gesicht der Zwergin zu einem Lächeln verzogen.
»Rotes Gold«, flüsterte Gora wieder und starrte begehrlich auf Alinas Haar. »Feengold. Sonnengold. Gefangenes Licht.«
Die Zwergin schien von anderer Art als ihr Genosse, sanfter, freundlicher, für Schmeicheleien empfänglich. Vielleicht war es nützlich, ihr Vertrauen zu gewinnen? Gewiss konnte sie ihr einige Fragen beantworten, vielleicht gab es sogar einen verborgenen Gang durch den Berg, der aus dieser Burg heraus zum Hügelland führte. Alina setzte sich auf das Bett und hielt der Zwergin einladend den silbernen Kamm entgegen.
»Hättest du Lust, mir beim Kämmen behilflich zu sein? Der Wind hat mein Haar furchtbar zerzaust, allein werde
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