Schattengefährte
ich es kaum wieder glätten können.«
Die Zwergin nickte so heftig, dass ihre Haube verrutschte, und ihre Augen bekamen einen seltsam rötlichen Glanz. Es sah komisch aus, wie sie den zierlichen Kamm in ihre großen Hände nahm, vermutlich hatte sie solch ein Werkzeug noch nie zuvor in den Fingern gehabt. Das spärliche graue Haar auf Morins Schädel hatte wohl kaum einen Kamm nötig, und sie vermutete, dass auch die Zwergin unter ihrer Haube einen ähnlichen Haarwuchs trug.
»Fäden aus roter Glut«, wisperte Gora, während sie den Kamm vorsichtig durch Alinas Haar zog. »Gesponnenes Feuer. Kühl wie Seide. Weich wie Flaum. Wellt sich wie Bergwasser.«
Sie stellte sich recht ungeschickt an, zupfte und zerrte herum, doch wenn Alina im Schmerz die Augen zusammenkniff und das Gesicht verzog, hielt sie erschrocken inne.
»Vergib. Kann nicht kämmen. Dumme Zwergin. Vergib Feenkind …«
»Du kannst nichts dafür. Es war der Wind, der mein Haar so zugerichtet hat. Du machst das sehr gut.«
»Feengold. Kostbarer als Edelstein. Schöner als Diamant …«
Langsam wurde es Alina unheimlich, denn die Zwergin stellte den Kerzenleuchter näher heran, um das Funkeln und Glänzen des Haares noch besser zu sehen. Hoffentlich kam sie nicht auf die Idee, ihr den leuchtenden Kopfschmuck abzuschneiden und irgendwo im Berg als kostbaren Schatz zu verstecken. Besser war, sie ein wenig abzulenken.
»Hast du schon einmal eine Fee gesehen?«
»Viele«, flüsterte Gora. »Früher im Tal. König Mirdir. Seine Feenkrieger. Zahlreich wie die Wiesengräser. Seine Tochter. Etain, die silberhaarige.«
»Du kanntest meine Mutter?«
Gora zupfte an einer dichten Haarsträhne herum, wickelte sie um ihren knotigen Zeigefinger, freute sich daran, dass das Haar sich lockte.
»Ich kannte Etain. Sie ging fort. Kam nicht zurück. Mirdir hatte großen Kummer. Mirdir war zornig. Etain kam nicht zurück. Wo blieb sie?«
»Sie starb bald nach meiner Geburt«, sagte Alina.
Doch die Zwergin schüttelte unwillig den großen Kopf.
»Feen sterben nicht.«
Alina sah sie erstaunt an. Das Runzelgesicht der Zwergin glänzte vor Glück, während sie den Kamm durch das leuchtende Feenhaar zog. Wenn daraus kleine Fünkchen sprühten, fuhr sie zurück, und ihr lippenloser Mund verzog sich zu einem tonlosen Lachen.
»Meine Mutter ist aber leider gestorben. Vielleicht deshalb, weil sie das Kind eines Menschen zur Welt brachte.«
Es war ein schrecklicher Gedanke, der ihr da gekommen war, denn dann wäre sie ja Schuld am Tod ihrer Mutter. Obgleich sie ja nichts dafür konnte.
»Feen sterben nicht«, wiederholte Gora. »Sie wandeln sich. Leben im Wasser. Wehen im Wind. Schweben im Nebel. Sind ein Baum, eine Blume, ein Fels. Dann wieder ein Vogel. Können nicht sterben. Sind keine Menschen.«
Log die Alte ihr etwas vor? Wenn das stimmte, dann müsste sie selbst sich ja auch verwandeln können, doch sie hatte solche Kräfte niemals an sich bemerkt. Und dennoch konnte etwas daran sein. Die Quelle und die Haselsträucher, dort hatte sie die Feenlieder gehört, dorthin hatte Fandur sie getragen, als die Raben ihn verfolgten, und die Quelle hatte sie geschützt. Lebte ihre Mutter? Das konnte nicht sein, denn dann hätte sie sich ihr irgendwann gezeigt. Vielleicht lebte nur noch eine Erinnerung von ihr, so wie der weiße Palast des Feenkönigs ja auch nur ein Traumbild aus vergangener Zeit war. Eines der Feenlieder kam ihr in den Sinn, und sie summte leise die Melodie vor sich hin.
In uralten Wäldern
Auf nebligen Feldern
Im Wasser der Seen
Auf bergigen Höhen
Im Raunen des Windes
Im Ahnen des Kindes
An jeglichem Ort
Leben wir fort.
Plötzlich fühlte sie sich unsagbar müde, und die Wärme des Kamins wollte sie erdrücken. Sie legte die Hand an die Stirn und spürte, wie heiß ihr Kopf war, sie hatte sogar kleine Schweißperlchen auf der Stirn.
»Feenkind muss schlafen«, murmelte die Zwergin. »Hat viel erlebt. Traum heilt Wirrnis. Nimmt den Schwindel. Löscht die Sorgen. Leg dich nieder und ruhe aus. Gora bewacht dich. Gora und Morin hüten dich wie ihren Schatz.«
Ganz traute sie der Zwergin nicht, doch die Müdigkeit war so groß, dass sie sich in die Polster sinken ließ. Die Zwergin zog eine Decke über sie und versuchte mit rauen Fingern, ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen, dabei wisperte sie allerlei Zeug, das Alina jedoch schon gar nicht mehr hörte.
Ihre Träume waren wild und erschreckend. Sie sah schwarz geflügelte Drachen
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