Schattengeschichten
weiterhin auf meiner Schulter.
„Ich glaube“, sagte sie, „Wir können ruhig du sagen. Diese Förmlichkeit passt nicht zu meinem Retter.“
„Okay“, sagte ich, „Wenn du schlafen möchtest, kannst du mein Bett benutzen. Ich bleibe hier auf der Couch.“
Sie bedankte sich und ich unterdrückte den Drang, ihr tausend Fragen zu stellen. Warum ihr Mann Hunde auf seine Frau gehetzt hatte. Was er denn geplant hatte, das sie in seinen Worten gehört haben wollte. All das sparte ich mir auf für den nächsten Tag. Yvonne hätte sich dann im Schlaf ein wenig erholt und ich würde ihr freundlich zum Kaffee einige Antworten entlocken.
Das Telefon klingelte, als ich in meinem Sessel auf den Fernseher starrte und die Wiederholung einer Gala-Sendung verfolgte.
„Ja?“ fragte ich in den Hörer.
„Gernot? Ich bin´s.“
Susanna hatte wohl das ganze Wochenende versucht mich zu erreichen. Als vorbeugende Maßnahme hatte ich den Anrufbeantworter ausgeschaltet, um keine Schuldgefühle bei ihrem Schluchzen zu bekommen.
„Was ist?“ fragte ich.
Sie machte eine Pause.
„Ich dachte... Du warst nicht da. Wo warst du?“
Was geht dich das noch an, dachte ich, aber ich antwortete: „Bei meinem Bruder.“
„So?“ fragte sie, „Und warum bist du nicht ans Handy gegangen?“
„Ich wollte abschalten“, sagte ich, „Warum rufst du mich überhaupt an? Ich dachte, wir halten erst mal Abstand voneinander.“
Sie ignorierte meinen Treffer.
„Wie geht´s dir?“ fragte sie.
„Wie soll es mir schon gehen? Ich habe die große Liebe meines Lebens an Unterschiede verloren, die nicht zu überbrücken sind. Verdammt, ich wollte nicht, dass es so kommt, aber du weißt, dass es besser ist.“
Susanna sagte erst nichts, dann: „Leb´ wohl“ und schließlich knallte sie ihren Hörer auf die Gabel. Ich war mir sicher, dass sie es noch einmal mit uns versuchen wollte. Was sie aber nicht begriffen hatte, war, dass ich es schon versucht hatte.
Ich griff zu meiner Wodkaflasche und trank den Alkohol pur. Er brannte in meiner Kehle und legte sich über meinen Schmerz im Herzen. Vielleicht war ich ein sensibles Arschloch, aber manchmal weiß ich einfach, was richtig ist.
Der Fernseher lief noch, als ich aus meinem Schlaf hoch fuhr. Ein Geräusch hatte mich geweckt. Etwas lautes, stechendes. Und Sekunden später hörte ich es erneut. Yvonne. Sie schrie im Schluchzen oder umgekehrt. Ein Geräusch, das nicht menschlich klang. Als ich mich erhob und voller Vorahnungen zu meinem Schlafzimmer rannte, traf mich der anhaltende Laut tief in meinen Knochen. Er klang herzzerreißend bitter, schrill und voller Krämpfe.
„Yvonne!“ rief ich ins Geschrei, als ich die Tür aufstieß, „Was ist denn los?!“
Sie wälzte sich auf dem Bett, in schlimmste Zuckungen versunken. „Es juckt“, rief sie, wohl im Schlaf, „So heiß.“
Ihre Hände kratzten an dem Verband, der verrutscht war und die Wunde nur noch zur Hälfte bedeckte. Das Reißen ihrer Fingernägel erzeugte ein ekelerregendes Geräusch. Das Shirt war hochgerutscht und ich sah, dass sie keinen Slip trug. Auf meinem Laken hatten sich Blutflecken gebildet. Ihre Augen waren geschlossen. Sie hörte nicht auf zu schreien. Von Krämpfen gepackt kämpfte sie gegen ihren Körper und fügte sich weiter Schmerzen zu. Bei diesem Anblick blieb ich versteinert auf der Schwelle stehen. Ihre Gestalt war eingefallen, nur Haut und Kochen, völlig ungesund wie bei einem todgeweihten Patienten.
Der Kampf wurde schlimmer. Sie trat um sich, während sie mit Fingernägeln ihren Körper zerkratzte. Das Blut leckte aus ihren Wunden und besudelten meine Garnitur mit triefenden, roten Flecken. Als ich mich endlich bewegen konnte, erwachte sie und erschrak vor meiner Gestalt.
Ihre Augen weit aufgerissen drängte sie sich an das Kopfende des Bettes, zitternd ihre Arme um die blutenden Beine gelegt, wie ein scheues Reh, das angeschossen wurde und nun auf das Ende wartete. Unter ihrem Körper bildete sich eine Lache. Das Schreien war verstummt und an dessen Stelle trat nun Schluchzen aus ihrem Mund.
Sie wimmerte, als ich mich neben sie setzte, ganz behutsam einen Arm um sie legte und flüsterte: „Alles wird gut“, in einem beruhigenden Basston. Was hätte ich sonst, verdammt noch mal, tun sollen?
Ich streichelte ihre Schultern und gab ihr meine Wärme, aber das Zittern wollte nicht enden. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn, ich spürte ihn durch den dünnen Stoff auf dem ganzen Körper. Als ich
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