Schattengeschichten
den Verband richten wollte, zuckte sie ihr Bein weg und sah mich beleidigt an.
„Du musst in ein Krankenhaus“, sagte ich.
Entweder verstand sie meine Worte nicht oder sie hatte keine Lust zu sprechen. Yvonne sagte kein einziges Wort, während ich mit ihr auf meinem Bett lag.
Irgendwann schlief ich ein.
Am nächsten Morgen erkannte ich das Ausmaß ihrer Blutungen und mir wurde übel. Ich kotzte auf meinen Teppich im Flur, weil ich es nicht mehr ins Badezimmer schaffte. Dann ging ich duschen und wischte meine Exkremente weg. Was für ein Wochenbeginn.
Ihr Körper ruhte jedenfalls, als ich nach ihr sah. Und ich verspürte nicht die geringste Lust, das Desaster zu reinigen. Ich ekelte mich vor ihr und meinem eigenen Bett. Ein Unbeteiligter hätte denken können, dass ich sie gefoltert hatte. Ihre Haut schimmerte nun durchsichtig und die Knochen stachen weiß gegen die Oberfläche.
Um mir Gedanken zu machen, schloss ich die Tür zu meinem Schlafzimmer und setzte einen Kaffee auf. Und zum ersten Mal stellte ich mir die Frage, warum ich sie mitgenommen hatte. Ich war nervös. Wenn ich jetzt einen Krankenwagen riefe, was hätten die Sanitäter von mir gedacht? Blutbespritztes Bett, eine Frau wie eine Leiche und mein desolater Zustand, in dem ich ihnen davon berichten müsste. Ich habe sie gestern auf der Landstraße getroffen, nein, die Verletzungen hatte sie schon vorher, sie sagte, Hunde hätten sie angefallen, nein, sie hat sich in der Nacht selbst gekratzt, ich war das nicht, ich war, im Gegenteil, nur ihr Retter, glauben sie mir, verdammt.
Doch eine Lösung für dieses Dilemma brauchte ich zweifellos und mir fiel nur eine Person ein, die ich damit belasten konnte. Ich hoffte auf einen Rat von meinem Bruder. Vor dem Telefonat zog ich mich vollständig an, ging hinunter auf die Straße und holte mir eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug. Ich hatte schon vor Jahren aufgehört, aber diese nervliche Belastung wollte ich mit Gift betäuben. Und tatsächlich, nach meiner dritten Zigarette fühlte ich es. Nicht mehr. Ich rief meinen Bruder an.
„Hey, Gernot. Gut, dass du anrufst. Ich wollte das auch gleich. Hast du die Nachrichten schon gesehen?“
„Nein“, sagte ich, „aber ich hab´ da ein Problem.“
„Wenn das so weiter geht, dann haben wir alle eins.“
„Was meinst du?“
„Mach´ mal den Fernseher an. Sie zeigen es auf allen öffentlich-rechtlichen.“
Danach war mir gar nicht zumute. Ich wollte doch nur, dass mein Bruder mir sagte, wie ich der Frau und mir helfen konnte. Wie ich aus diesem Dilemma wieder erwachen konnte. Aus meinem Schlafzimmer drang Poltern.
Doch ich hörte auf Karsten und schaltete den Fernseher an. Reporter im Grünen. Es war windig und sie mussten sich bemühen, um gehört zu werden.
„Das ist der Hammer, Gernot“, sagte mein Bruder. Das Poltern aus dem Schlafzimmer wurde lauter.
„Warte mal“, sagte ich und stand von meinem Sessel auf. Karsten sagte noch, ich solle dem Reporter zuhören, da stieß Yvonne die Tür auf.
„Hey!“ rief ich, „Alles okay bei dir?!“
Ich trat auf den Flur, nur um einer Kralle auszuweichen. Yvonne fauchte, während sie nach mir schlug.
„Was soll das?!“ rief ich ihr zu. Als ich an meine Wange fasste, musste ich feststellen, dass sie mich getroffen hatte. Blut lief mir zum Kinn. „Verdammt!“ schrie ich. Ihr Gesicht hatte ich noch nicht gesehen, aber ich ahnte Böses.
Sie kam um die Ecke.
Aus ihrer Wunde lief noch Blut. Mein fantastisches Doors-Shirt war nunmehr rot mit hellen Stellen. Ihr Gang war apathisch, die Haut totenblass gefärbt. Unzählige blaue Äderchen traten hervor. Ihr Blick war getrübt und gab dem Gesicht eine wahnsinnige Komponente. Sie hatte die Brauen streng nach oben verzogen. Ihr Mund war zu einem aufgerissenen Maul entzerrt, das lächelte, als ihre Klauen nach vorne schnellten, um mich zu packen. Ich wich aus, weil ich über meine Couch gestolpert war und schrie auf.
In schweren, kurzen Schritten kam sie auf mich zu, ihre Arme auf mich gerichtet. Ich lief aus dem Wohnzimmer. Ihr zu entkommen war leicht, denn trotz der Wendigkeit ihres Körpers, war sie schwerfälliger als ein dicker Mensch. Jede kleinste Bewegung, die sie tat, erinnerte an einen Schlafwandler. Ich lief in das blutige Zimmer und wartete. Die Lampe von meinem Nachtschrank lag zerbrochen in einer Ecke. Die Wände waren blutbesudelt. Was hatte Yvonne hier drin getan?
Wie ich vermutet hatte, kam sie mir hinterher. Ich wartete noch einen
Weitere Kostenlose Bücher