Schattengeschichten
sich über dem roten Fleisch gebildet.
„Tut das weh?“ fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
„Die Hunde?“ fragte ich und bemühte mich, nicht weiter auf ihre nacktes Fleisch zu starren. Sie nickte. „Wer hat die Hunde auf sie losgelassen? Das wollten sie doch eben sagen. Jemand hat die Hunde auf sie losgelassen.“
Sie nickte erneut ohne meine Frage zu beantworten. Wenigstens hatte sie aufgehört zu weinen.
„Wollen sie, dass ich sie in ein Krankenhaus fahre?“
Sie drehte den Kopf zu mir und sah mich mit angsterfüllten Augen an.
„Nein“, flüsterte sie, „Da würde er mich zuerst suchen. Ich will nicht, dass er mich findet. Ich konnte nicht wissen, dass...“, und wieder weinte sie.
„Wer wird sie finden?“ fragte ich.
Ich war verdammt wütend. Auf Denjenigen, der ihr die Hunde auf den Körper gehetzt hatte. Wer konnte so grausam sein und ihr das antun?
„Mein Mann“, antwortete sie und ich verlor den Glauben an die Liebe.
„Ihr Mann?“ fragte ich, „Ihr Mann hat ihnen die Hunde auf den Hals gehetzt?“
Sie nickte und weinte.
„Ich wusste nicht“, stotterte sie, „Ich wusste nicht, dass er seine Worte ernst meinte. All die Jahre.“
Welche Worte?, wollte ich fragen, aber das schien mir zu viel. Ich war in einen Ehestreit geraten. Oder etwas in der Art. Und hätte ich mich bloß daraus gehalten. Hätte ich diese Frau einfach gehen lassen. So aber nahm der Wahnsinn seinen Lauf. Ich nahm sie mit zu mir nach Hause. Etwas Besseres fiel mir einfach nicht ein und ihr verzweifeltes Nicken, als ich ihr das anbot, hatte mein Herz erweicht.
Ich war über das Wochenende in Schleswig-Holstein gewesen und hatte dort meine Wunden geleckt. Bei meinem Bruder. Er war immer der Überzeugung gewesen, dass Susanna nicht die Richtige für mich war, wegen ihrer Vergangenheit (Rauschgift und Diebstahl). Dass meine Exfreundin noch Teenager gewesen war, als sie das tat, interessierte ihn nicht. Für immer verdorben, sagte er oft. Aber an diesem Wochenende war mein Bruder stolz auf mich. Wir gingen tanzen und betranken uns. Für eine Weile vergaß ich das tiefe Loch, in das ich noch fallen würde. Ich liebte Susanna noch immer, aber mein logischer Menschenverstand hatte den Schlussstrich ziehen müssen. Wir passten nicht zusammen, allerdings aus anderen Gründen, als mein Bruder glaubte. Es ist viel schlimmer, sich von der Liebe zu trennen als von einer Gewohnheit. Und der Besuch der fremden Frau schien mir als willkommene Abwechslung.
„Wie heißen sie eigentlich?“ fragte ich, als wir in meinem Wohnzimmer saßen. Ich hatte uns einen kleinen Wodka-Cocktail gemixt und wir tranken ihn. Ihr verängstigtes Gesicht starrte an mir vorbei aus dem Fenster.
„Yvonne“, sagte sie leise.
Ich lächelte.
„Ich bin Gernot.“
Sie nahm ihren Blick aus der Ferne und schaute mich an. Ihre Verstörtheit war noch nicht gewichen, aber ich glaubte, dass meine Wohnung ihr ein Stück Sicherheit zurück gab.
„Kann ich duschen gehen? Ich fühle mich dreckig.“
Wie hätte ich diese Frage nicht bejahen können? Ich legte ihr Handtücher bereit und saubere Kleidung. Während ich mir ihren nackten Körper vorstellte, rief ich meinen Bruder an und teilte ihm mit, dass ich zuhause war. Ein altes Ritual, wenn wir uns gegenseitig besucht hatten. Dann mixte ich mir einen weiteren Cocktail und setzte mich auf meinen Balkon. Obwohl der Herbst schon Einzug hielt, blieb es auch Abends noch warm. Hamburg atmete unaufhörlich. Ich hörte die Sirenen von Rettungswagen, das endlose Brummen der Autos und angeschaltete Fernseher aus den benachbarten Häusern. Es hatte sich also nichts geändert. Nur dass ich jetzt allein diese Szenarien zu beobachten hatte.
Als sich eine Hand auf meine Schulter legte, revidierte ich mein Alleinsein. In meiner Wohnung befand sich eine attraktive junge Frau, die, als ich mich umdrehte, in mein Tour-Shirt von The Doors gekleidet war. Ich hatte es auf einem Flohmarkt entdeckt und für zehn Euro gekauft. Es reichte ihr bis zu den Oberschenkeln und verdeckte den größten Teil ihrer Wunden.
„Ich habe den Verband benutzt. Ich hoffe, das ist okay.“
Und wieder wurde ich an Susanna erinnert. Sie hatte mir damals aufgetragen einen Medizinschrank in meinem Badezimmer zu installieren. Weil immer was Schreckliches passieren kann , wie sie sagte. Ich hatte ihn bisher nie benutzt.
„Klar“, antwortete ich, „Sicher. Fühlen sie sich wie zuhause.“
Yvonne lächelte, das erste Mal, und hielt ihre Hand
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