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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hauke Rouven
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Zunächst galt es, seinen Feind zu schwächen, der sich mittlerweile einige Dutzend Meter entfernt aufgestellt hatte und ganz wie ein Cowboy seine Hände über den Hosentaschen hielt. Als würde er jeden Moment schießen. Gustavos Schnurrbart wirkte in dieser Entfernung wie Dreck unter seiner Nase.
    Xavier sammelte Energie. Das Duell hatte begonnen.
    Wenn du mich findest, machen wir weiter, dachte er. In seinem Inneren brodelte es; der Energieball, der nötig war, um Doppelgänger zu erzeugen. Viele einzelne, die jedoch nicht über seine Macht verfügten. Gustavo probierte sich in einem Sand-Dolch-Zauber, der zwei Doubles sofort tötete. Und während er sich zunehmend mit mehr Xaviers konfrontiert sah, setzte der echte Arianes Leiche wieder zusammen, den Körper in die ursprüngliche Formation. So konnte er sie nicht liegen lassen. Das hatte sie nicht verdient. Sein Doppelgänger-Zauber war nur Ablenkung. Xavier wollte ein Begräbnis. Kurzweilig.
    Jetzt erinnerte er sich auch an sie. Und die wieder entdeckte Leidenschaft füreinander. Wie sie nach all den Jahrzehnten miteinander geschlafen hatten. Ihre Küsse, die Berührungen. All das würde nun vergangen bleiben. Ein Toter blieb tot, denn die Möglichkeit zur Wiederbelebung war ein Irrglaube.
    Xaviers Doppelgänger wurden abgeschlachtet. Einen nach dem anderen zerfetzte es. Und Gustavo brüllte vor Wut. Er wollte ein Duell. Keinen Zirkus.
    Nachdem Ariane einer toten Schönheit glich, nur hier und da blutige Risse in der Haut aufwies, transportierte er sie in seine Wohnung. Später sollte eine Zeremonie stattfinden. Gustavos Energie war zu nahe, als das dafür jetzt die Zeit blieb.
    „Xavier!“ schrie dieser, „Wovor versteckst du dich?“
    Sein Geist antwortete in Gustavos Kopf: Ich bin doch bei dir, mein Lieber. Gleich in deinen Gedanken. Und nun fordere ich dich heraus. Suche mich. Was Gustavo gern getan hätte, wenn seine Synapsen nicht blockiert worden wären. Eine unsichtbare Macht hielt den nidloischen Magier an jenem Punkt fest, an dem er stand und fesselte seine Glieder. Die verbliebenen Doppelgänger, fünf von hundert-undneun, piesackten ihn mit unterschiedlichen Stichen. Kleine Nadeln, Messer, Äxte und anderes, was sie sich einfallen ließen und bald zierten Schnitte die Haut des Hexers.
    Xavier war zufrieden, denn nun gelang ihm die Flucht.
    Zunächst ließ er den Himmel verschwinden, mit seinen falschen Sonnen, deren Hitze unerträglich war. Eine einfache Armbewegung reichte aus. Dunkle Wolken zeichneten sich dahinter ab. Hamburg im Regen. Erlösung. Danach bearbeitete Xavier den Boden um sich herum. Der Sand versickerte in Löchern zu anderen Räumen und Zeiten, wartete auf einen erneuten Gebrauch.
    Musik ertönte, harte Gitarrenriffs und kreischender Gesang brachen sich ohrenbetäubend Bahn. Gustavo hatte den Schauplatz des Duells in den Stadtpark verlagert, in den Zuschauerraum der Open-Air-Bühne. Um Xavier herum zuckten Fans, die headbangten und pokten (wobei der Hexer nicht wusste, was diese Ausdrücke bedeuteten; für ihn bestand das Spektakel nur aus einem Haufen Zurückgebliebener, die zu irgend-welchem Lärm hopsten und ihre Köpfe epileptisch kreisen ließen).
    Gustavos unsichtbare Zwangsjacke diente noch immer, doch schon ein weiterer Doppelgänger hatte sein Leben gelassen. Niemand von den Besuchern nahm Notiz von den Duellanten. Xavier presste sich durch die Menge zum Ausgang. Dafür brauchte er Ellenbogen und ungemeine Kraft. Metal-Fans waren ignorante Arschlöcher. Endlich draußen sog er gierig die feuchte, frische Luft in seine Lungen und starrte zum Himmel, dankte Hamburgs Scheißwetter für sein Erscheinen.
    Er wusste, dass seine Zeit begrenzt war, dass Gustavo sich jeden Augenblick befreit haben konnte, also bediente sich Xavier des Transportierens und war nur zwei Sekunden später in seiner Wohnung. Auf der Couch im Wohnzimmer lag Arianes Leichnam. Doch die Großen Zauber forderten ihren Tribut. Xavier war erschöpft. Seine Knie schwankten, der Kreislauf war am Boden. Für einen Moment wurde es schwarz vor seinen Augen, anders als vorhin. Dann fasste er sich wieder.
    Xavier taumelte in seine Küche, öffnete den Kühlschrank. Zu seinem Glück bewahrte er hier stets das einzige Mittel auf, das ihm in wenigen Sekunden seine volle Kraft zurück gab: Tierblut, in diesem Fall von einem Rind, angereichert mit dessen Gehirnmasse und Knochenmark. Es war eklig, Xavier wurde übel, aber er presste seine Nase zusammen und würgte das

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