Schattengeschichten
hingen; die dunkelbraunen Regale, auf denen Ritusgegenstände ihren Platz fanden; roch den verbrannten Weihrauch. Eine angenehme Atmosphäre, in der sie sich anscheinend wohl fühlte. Schließlich entspannte sich ihre Körperhaltung, als sie auf seiner Couch Platz nahm und auf den Fernseher starrte.
„Du schaust Fernsehen?“ fragte sie.
„Seit es erfunden wurde, ja.“
„Warum?“
Er schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich weiß nicht, nur so. Möchtest du etwas trinken, Ariane?“
Sie nickte heftig.
„Bitte“, sagte sie, „das brauche ich jetzt. Etwas starkes, ja?“
„Sicher. Und dann erklärst du mir mal, was los ist.“
Ariane nickte wieder. Xavier verschwand in seiner Küche, holte zwei Gläser aus dem Schrank und schenkte ihnen beiden etwas von seinem teurem Rotwein ein, den er in Frankreich erworben hatte, während seines letzten Urlaubs.
„Schön hast du es hier!“ rief sie aus dem anderen Zimmer. „Richtig menschlich. Hätte nie gedacht, dass du dich mal so anpassen würdest, Xavier. Sogar ein Computer.“
„Ich gehe nur mit der Zeit.“
Er kehrte zu Ariane zurück und hielt ihr ein Glas hin, das sie dankbar in ihre Hände nahm und in einem Zug leerte.
„Danke“, sagte sie, „Jetzt geht’s mir schon besser. Ich nehme ein bisschen Popcorn, wenn es genehm ist.“
„Natürlich.“
Xavier nippte an seinem Glas und setzte sich auf die andere Seite der Couch. Er betrachtete seine einstige Geliebte mit einer Wehmut, die er nicht für möglich gehalten hatte. Noch immer strahlte ihr Körper diese Leidenschaft aus. Sein Verlangen, das sich Jahre versteckt hatte, meldete sich nun vehement im Unterleib.
„Also, warum bist du hier?“ fragte er etwas zu barsch. „Ich meine, schön, dass du noch lebst, ich dachte, Helena und die anderen hätten dich aufgespießt, jedenfalls sah es eine Nacht so aus. Dann warst du weg. Also, um es besser klingen zu lassen, was verschafft mir die Ehre deines Besuchs, Ariane? Doch wohl kaum die Sehnsucht nach mir, oder?“
Er versuchte ein Lächeln, aber es entglitt ihm ins Glas, das er schnell zum Mund führte, um seine Unsicherheit zu verbergen.
„Gustavo“, sagte sie.
Bitter kehrten Erinnerungen zurück.
Xavier murmelte diesen Namen nach. Seine Stirn zierte tiefe Furchen. Einen Augenblick glaubte er wieder, sich verhört zu haben. Aber Gustavos Erscheinen würde vieles erklären. Den Anruf zum Beispiel. Die bekannte Stimme könnte Gustavo gehören, dem nidloischen Magier.
„Er ist wieder da“, schloss Ariane.
„Und darum bist du hier, meine Liebe? Um mich zu warnen?“
Ihr jugendhaftes Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. Etwas verwirrt und ratlos, aber ganz gewiss von einer ernsten Melancholie ergriffen. Der Mund zitterte und ihr Haar wirkte plötzlich kraftlos.
„Nicht ganz, Xavier. Warnen brauche ich dich eigentlich nicht.“
Nun wurde der Hexer unruhig. Dieses beklemmende Gefühl, das seit dem Anruf in ihm gekeimt und gereift war, steuerte seinem Höhepunkt entgegen. Ein tränenerstickter Kloß steckte in seinem Hals. Und eine Ahnung befiel seinen Geist.
„Warum dann?“ Sie erwiderte nichts, wich stattdessen seinem Blick aus und suchte an der Wand nach Halt. „Ariane, was ist los, verdammt? Dass da irgendwas geschieht, kann ich auch spüren, nur sag mir doch endlich, was es ist.“
Eine Pause entstand. Endlos, wie es schien, bis sie sich endlich ein Herz nahm und ihm tief in die Augen blickte.
„Ich bin hier, um dich zurück zu holen“, antwortete sie endlich und Xavier schluckte seine Fragen, um ihr weiter zu lauschen. „Du hast mich selbst geschickt. Ach, Xavier...“, wieder folgte eine Pause. Kürzer diesmal, bis sie fortfuhr: „Ich bin tot, Xavier. Du selbst hast mich sterben sehen. Wie soll ich dir das bloß erklären? Versuchen wir es so: Du bist gar nicht hier, in deiner Wohnung. Ich bin nicht hier. Nichts ist, wie es scheint. Gustavo hat dich heraus gefordert. Euer Duell...“ Sie unterbrach sich und atmete tief ein. „Er glaubt nun, dass er dich besiegt hat. Mit diesem neuen Zauber, den er Vergall-Xavier nennt. Er hat ihn extra für dich erfunden.
Xavier, ich bin deine letzte Chance, dein Rest Bewusstsein, dein Rest Erinnerung.“ Nervös kaute Ariane auf ihrer Unterlippe. „Verstehst du mich?“ sagte sie, „Ich weiß, es ist schwer, aber vertraue mir. Bitte, Xavier, wach auf.“
Sollte er jemals ein annähernd normales Leben geführt haben, Xavier spürte und lebte es ab diesem Augenblick nicht mehr.
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