Schattengeschichten
Aus einer Ahnung war Gewissheit geworden. Es war Gustavo, der elende Gustavo, der ihm diesen Albtraum bescherte. Des Rätsels Lösung. Und er hätte es wissen müssen.
„Aber...“ sagte er noch, bevor sein Mund Staub fraß und die Augen verzweifelt nach Konturen suchten und nichts erblickten. Xavier erwachte in vollkommener Dunkelheit.
„Aufgewacht“, sagte er. Ob er sich darüber freuen sollte?
Er lag auf dem Bauch, auf Sand. Und sein Gesicht schmerzte, seine Gliedmaßen ebenfalls. Als hätte sich ein Gift durch sein Leben geschlängelt, ihn ausgespuckt und liegen gelassen. Es war heiß. Sonne brannte auf seinen Rücken. Xavier trug noch Kleidung, musste sein teuerster Anzug sein. Denn allmählich kehrten die Erinnerungen zurück.
Wie er den Abend auf der Couch hatte verbringen wollen. Und tatsächlich Gustavo angerufen hatte. Nur dieses Mal erinnerte er sich an den nidloischen Magier, der so viel Unheil beschworen hatte. Über ihre Spezies und die der Menschen. Ein Duellant aus der Hölle, wenn es sie gebe.
Es existierte folgende Regel: Ein Hexer forderte einen gleichgeschlechtlichen heraus. Derjenige, der verlor, bezahlte entweder mit seinem Leben, seinem Verstand oder der persönlichen Freiheit. Gustavo hatte damals letzteres verloren, aber irgendwie wieder fliehen können aus der Düsternis der Verbannung; einem Ort jenseits der Vorstellung, der reserviert war für im Duell besiegte Magier.
Nun hatte er Xavier heraus gefordert. Das stimmte. Und Ariane war tot. Und Gustavo glaubte ihn besiegt. Auch das musste wahr sein. Sonst läge er nicht hier, im Staub einer Wüste. Xaviers Beklommenheit steigerte sich. Es war nicht dunkel, das wusste er jetzt. Er war blind. Ein weiterer Zauber.
„Na, mein alter Freund“, fragte die bekannte Stimme hinter ihm, „Erinnerst du dich?“
„Gustavo“, keuchte Xavier in den Sand. Körnchen blieben in seinen Augen haften. Doch den Hexer bestimmte nur ein Gedanke. Vergeltung. Rache für Ariane.
„Wie primitiv, nicht wahr?“ sagte Gustavo, „Ich habe mir echt einiges einfallen lassen, damit du meine Herausforderung annimmst. Und trotzdem endete es in Gewalt und Blutvergießen. Fast durchschaubar, wie?
Warum wolltest du nicht? War es dein Stolz? Oder die Liebe? Oder gar Weisheit? Mein Gott, wie erbärmlich. Xavier, lass mich das klarstellen: Ich kann mich mit niemand anderen duellieren. Besser gesagt, ich will das nicht. Die anderen sind nichts wert; all diese mickrigen Zauberer mit ihren Attitüden und lächerlichen Praktiken. Sie alle verfügen nicht über jene Macht, wie wir beide es tun. Um es auf eine schlichte Formel zu bringen: Es wäre einfach langweilig mit ihnen. So wie mit Ariane. Nur ein Zauber und ihr Körper faltete sich wie ein Blatt Papier.“
Ein Dröhnen pulsierte in Xaviers Gehirn und übertönte all die anderen Empfindungen und Möglichkeiten und Gedanken.
„Ja“, sagte er, „du hast erreicht, was du wolltest.“
Gustavo lachte. Es war mehr ein hysterisches Kichern. Wie von einer Hyäne, bevor sie sich auf ihr Nachtmahl stürzt.
„Wie schön. Dann kann es ja endlich losgehen. Und dabei hatte ich befürchtet, du wärst schon, nun ja, besiegt. Was meinst du? Wie lange hast du in deinem Kopf gebraucht? Ich habe lange warten müssen, bis du dich von meinem Vergall-Xavier erholt hast. Fast glaubte ich, du wärst so erbärmlich wie...“
Xaviers Stimme zerschnitt ihm das Wort.
„Es war ein Tag, Gustavo. Mehr nicht. Und du hast geglaubt, dass es länger dauert? Du hast es gehofft.“
„Nun schön“, sagte der nidloische Magier, „Wie ich sehe, erholst du dich schnell. Dann nehme ich meine Position ein.“
Xavier brauchte nur wenige Sekunden, um sich das Augenlicht zurück zu geben. Doch als er sah, wollte er sofort wieder in Dunkelheit verweilen. Neben ihm lag ihr Körper. Das, was von ihr übrig war. Gustavo hatte Ariane ,gefaltet’ wie Jaqueline es mit ihren Männern tat. Innereien verteilten sich um den Haufen Knochen und Fleisch.
Hass stieg in ihm auf. Blendender Hass, der nicht seine Gabe verdrängen durfte. Nein, für die Großen Zaubereien brauchte Xavier einen klaren Kopf. Mit den Händen stützte er sich vom Boden ab und hob sich in die Höhe, ächzend, wie ein alter Greis.
Um ihn herum nur Wüste, heiße Sonnen am Himmel, der Horizont meilenweit entfernt. Keine Berge, kein Grün. Nichts. Nur der rote Sand. Die Kulisse eines Hexer-Duells. Auch sie konnte nur eine Illusion sein, die Xavier bei Gelegenheit durchbrechen wollte.
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