Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
Block aus Blech. Ich sah sofort, dass er sich im Sommer mit Hitze aufladen würde, bis man die Fensterbretter nicht mehr würde anfassen können. Im Winter würde man daran festfrieren. Das gefiel mir.
Den Schlüssel für die Wohnung sollte ich bei Sabine Rambart abholen. Es war die Wohnung im ersten Stock. Als ich dort klingelte, wartete Polly draußen vor der Haustür. Wir wollten kein Risiko eingehen.
Nach dem dritten Klingeln öffnete sich die Tür, und ein Beagle stürzte heraus, sprang um mich herum, als wäre ich eine Litfasssäule. Er beschnüffelte meine Beine, wedelte mit dem Schwanz, bekam sich vor Freude gar nicht mehr ein. „Mensch, Donna, jetzt lass doch mal!“ Ich sah auf. Ein etwa neunzehnjähriges, sehr blasses Mädchen bückte sich nach dem Beagle und reichte ihn an einen jungen Mann weiter, der ihr über die Schulter schaute. „Bring sie mal in die Wohnstube, da liegt ihre Decke“, sagte sie. Dann riss sie die Tür richtig auf, rief „Trara!“ und machte eine einladende Handbewegung in die Wohnung. Ich sagte nichts. Ich konnte nicht. Ich konnte sie nur anschauen. Sie war wunderschön.
Sie trug etwas Schwarzes, gründlich Zerrissenes mit lauter Riemen und Schnallen, und als sie lachte, bewegte sich der silberne Nagel in ihrer Oberlippe. Ihre langen, schwarzen Haare waren auf prachtvolle Art verlottert. Sie musste ewig gebraucht haben, bis sie so umwerfend verwahrlost aussah.
„Kommst du jetzt rein, oder wartest du hier auf den Bus?“, unterbrach sie meine Gedanken.
Erst jetzt nahm ich die Musik wahr, die aus der Wohnung kam, das Gläserklirren und Lachen.
„Ich … ich komme gar nicht zur Party“, sagte ich stockend. „Ich bin Mila … ich meine … Milana Helmholz.“
„Ach, du bist die, die bei Tobias einzieht!“, sagte sie fröhlich. „Hi, ich bin Bine.“ Sie hielt mir ihre Hand hin. Ihre Haut war weiß wie ein Waschbecken, das kann nicht natürlich sein, dachte ich, das musste geschminkt sein. Tiefschwarze Netzstulpen bedeckten das Handgelenk, jeder Finger war silberberingt. Ich drückte die Hand und erwartete, dass sie sich auflösen würde. Ihre Hand war warm und fest. „Kannst trotzdem reinkommen“, sagte das Mädchen, das Bine hieß und eher Desdemona hätte heißen müssen.
„Äh … vielleicht ein … anderes Mal“, sagte ich.
Bine grinste, drehte sich um und nahm einen Schlüsselbund von der Kommode. „Dritter Stock“, sagte sie. „Apartment 3/02. Der Astronomieraum. Die Tür rechts neben dem Felsen!“
„Was?“ Sie hätte auch in einer anderen Sprache reden können.
Da drehte jemand die Anlage so laut auf, dass die Wände zu vibrieren anfingen. Sie machte eine entschuldigende Geste, drehte sich um und rannte in den Lärm. Die Tür fiel ins Schloss.
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„Dritter Stock“, sagte ich. „Sie hat Astronomieraum gesagt. Keine Ahnung, was das sollte.“
„Ganz einfach“, sagte Polly im Eingang. „Das hier war mal ’ne Schule.“ Sie wies auf eine Schulklingel, eine große Schelle aus Metall, die eingerostet über der Haustür hing. „Und hier hat mal ein Aufseher oder so was gesessen.“ Ihr Blick ging auf ein Fensterchen, eine Art Pförtnerloge. Ich stellte mir vor, wie das Fenster mal geblitzt hatte. Jetzt war es mit Hanuta-Aufklebern von Fußballern übersät.
Eine Schule. War das ein gutes Zeichen? Automatisch dachte ich an die Schule in K1, 5. Was würde mich dort erwarten? Wie wäre wohl mein Mentor oder meine Mentorin? Ich hatte schon Horrorstorys gehört. Würden die Schüler mich mögen? Die Kollegen?
„Los jetzt“, sagte Polly. „Ich hatte nicht vor, hier zu übernachten!“ Sie griff nach dem Koffer und gemeinsam schleppten wir ihn die drei Stockwerke hoch.
Die ehemaligen Klassenzimmer waren zu Wohnungen umgebaut worden. Zu Apartments, wie die blasse Bine gesagt hatte.
Apartments. Der Name war das Modernste daran. Neben den Wohnungstüren hingen noch die Plastikschildchen von damals, einst weiß, jetzt grau und von haarfeinen Rissen durchzogen, die in schwarzen Buchstaben den Namen des Klassenraums bekannt gaben: Physikkabinett. Werkraum. Lehrerzimmer.
Im dritten Stock gab es zwei Türen nebeneinander. Vor der, die zum Deutschraum führte, lag ein monströser Felsbrocken.
„Pappmachee“, sagte Polly und hob einen an. „Na ja, warum nicht? Briefmarkensammeln ist ja auch inzwischen die totale Mottenkiste. Stell dir dagegen mal vor, jemand sagt dir: Du-hu, ich hab da eine tolle Sammlung Felsbrocken zu Hause … “
„Da
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