Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
wolltest. Erzähl mir nun von deinem Ritt.«
»Hat Tym dir nicht davon erzählt?« brummte Alec und fühlte sich an der Nase herumgeführt.
»Das ist nicht dasselbe. Ich möchte wissen, was du gesehen hast.«
Noch immer etwas beleidigt berichtete Alec von seinen Erlebnissen auf dem Ring und wies dabei besonders auf die Kerle im Nordviertel hin, dann berichtete er von der Prozession auf dem Seemarkt.
»Lord Vardarus.« Seregil wirkte nachdenklich, als er einen Glasstab zwischen seinen langen Fingern zwirbelte. »In der Vergangenheit arbeitete ich gelegentlich für ihn. Ich hielt ihn der Königin gegenüber für absolut loyal.«
»Dieser Taschendieb sagte, er hatte ein Attentat auf Lord Barien geplant. Myrhini und ich trafen Lord Barien vor dem Palast, ehe ich mich auf den Weg zum Ring machte. Beim Schöpfer, Seregil, er muß von der Hinrichtung gekommen sein, und er sprach von einem Festival!«
»Das Fest des Sakor zur Wintersonnwende«, erklärte Seregil beiläufig. »Ich frage mich, was Nysander davon weiß. Ich hätte Vardarus niemals für einen Leraner gehalten.«
»Was sind denn Leraner?«
Seregil sah ihn überrascht an.
»Bei Bilairy. Habe ich dir denn noch nicht von Idrilain der Ersten erzählt?«
»Nein. In dieser Nacht an Bord der Pfeil sagtest du, daß ich noch eine Menge über die königliche Familie zu lernen hätte, aber dann wurdest du krank.«
»Ah, dann habe ich nun etwas ganz Besonderes für dich. Idrilain die Erste ist eine meiner Favoritinnen. Sie lebte vor hundert Jahren und ist die erste und einzige der skalanischen Königinnen, die einen Aurënfaie zum Gemahl nahm.«
»Einen Aurënfaie?«
»Ja, er war allerdings nicht ihr erster Ehemann. Idrilain war eine große Kriegerin und bekannt für ihren starken Willen und ihr feuriges Temperament. Sie war bereits mit zwanzig Jahren General. Mit zweiundzwanzig, am Tage ihrer Krönung, heiratete sie, und bald wurde die Erbin geboren, eine Tochter namens Lera. Nicht lange darauf erklärte Zengat den Aurënen den Krieg. Die Aurënfaie wandten sich an Skala um Unterstützung, und Idrilain selbst führte die Streitkräfte nach Süden.«
»Wo liegt Zengat?« unterbrach Alec, dem die unbekannten Namen durch den Kopf gingen.
»Westlich von Aurënen, wo die Berge von Ared Nimra an die Selön-See stoßen. Die Zengati sind ein wilder Haufen, hauptsächlich Krieger, Straßenräuber und Piraten. Gelegentlich langweilt es sie, nur gegeneinander zu kämpfen, dann bereiten sie ihren Nachbarn Probleme, vor allem den Aurënfaie. Diesmal erhoben sie Anspruch auf Ländereien nahe Mount Bardok. Als sie ins Land eingedrungen waren, meinten sie jedoch, sie könnten auch den Rest des Landes gebrauchen.
Während ihres Feldzuges dort verliebte sich Idrilain in einen gutaussehenden Hauptmann der Aurënfaie namens Corruth. Er kehrte mit ihr nach Skala zurück, wo beinahe ein Bürgerkrieg ausbrach, als sie sich von ihrem ersten Ehemann lossagte, um ihn zu heiraten.«
»Aber du sagtest doch, es wäre nicht ungewöhnlich, daß eine Königin viele Liebhaber hat«, erinnerte sich Alec.
»Aber das taten sie für gewöhnlich, um einen Erben zu empfangen. Idrilain hatte schon eine Tochter. Außerdem war Corruth Aurënfaie.«
»Du meinst, er war nicht menschlich.«
»Richtig. Obwohl man sich an die uralten Bindungen vom Großen Krieg dankbar erinnerte, wollte man dennoch kein gemischtes Blut in der königlichen Erbfolge.
Wie gewöhnlich jedoch setzte Idrilain ihren Willen durch und gebar eine weitere Tochter, Corruthesthera. Ihr Vater, ein in jeder Hinsicht guter und edler Mann, wurde bald von einigen der Adligen anerkannt. Aber es gab auch eine starke Fraktion, die Leraner, die nicht hinnehmen wollten, daß Corruths Tochter möglicherweise die Thronfolge antrat. Idrilains erster Prinzgemahl steckte von Anfang an dahinter. Wahrscheinlich hatte er auch Lera mit einbezogen, was allerdings nie bewiesen wurde. Auf jeden Fall war das Verhältnis zwischen der Kronprinzessin und der Königin gelinde gesagt schwierig.«
»Und was geschah?«
»Im zweiunddreißigsten Jahr ihrer Regentschaft wurde Idrilain vergiftet. Den Leranern konnte nichts nachgewiesen werden, aber der Verdacht begleitete Lera auf den Thron. Lord Corruths Verschwinden am Tag ihrer Krönung machte die Sache auch nicht leichter. Man muß Lera jedoch zugute halten, daß sie ihre Halbschwester nicht auf der Stelle umbringen ließ. Statt dessen wurde sie auf eine Insel mitten in der Osiat-See ins Exil geschickt.
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