Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
Abendstunde brannte vor jedem Haus ein Licht über dem Eingang. Die Lichter leuchteten in vier Farben: Rot, Bernstein, Weiß und Grün. Sie gaben der Gegend einen festlichen Anstrich und schienen völlig willkürlich angeordnet.
»Entschuldigt, mein Herr«, fragte Alec einen Mann, der aus dem Torbogen trat. »Welche Straße ist dies?«
»Die Straße der Lichter natürlich«, erwiderte der Mann und musterte ihn.
»Oh, welche Bedeutung haben die Lichter?«
»Wenn du danach fragen mußt, so geht es dich auch nichts an, Junge!« Er blinzelte mit einem Auge und schritt pfeifend davon.
Alec warf noch einen neugierigen Blick die Straße hinunter und machte sich dann auf den Weg zum Orëska-Haus. Er folgte Myrhinis Anweisung und fand ohne Probleme den Weg zurück. Nysanders Wegweiserstein brachte ihn zur Turmtür.
Er wollte soeben klopfen, als Thero mit einem Arm voll Schriftrollen angestürmt kam. Sie stießen so heftig zusammen, daß ihnen beiden die Luft wegblieb. Die Schriftrollen flogen nach allen Seiten und rollten über den Steinboden. Eine der Röhren flog über die Brüstung, und überraschte Rufe vom Atrium waren zu hören, als sie unten aufschlugen. Thero sah Alec einen Augenblick finster an, dann sammelte er seine Dokumente ein.
»Es tut mir leid«, murmelte Alec und hob die Rollen auf, die in den Flur gerollt waren. Thero nahm sie entgegen und ging davon, ohne einen Gedanken daran, daß sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
Vielen Dank! dachte Alec sauer, diesmal stellte er sich ein wenig seitlich zur Tür, als er erneut klopfte.
Seregil öffnete und sah außerordentlich selbstzufrieden aus.
»Er ist fort?« schmunzelte er und ließ Alec ins Vorzimmer.
»Was war denn los? Er stieß mich fast über die Brüstung!«
Seregil zuckte unschuldig die Schultern. »Ich kam hoch, um mir ein Buch von Nysander zu borgen, aber er war nicht da. In seiner Abwesenheit nahm Thero es auf sich, mir zu erklären, daß ich es nicht haben könnte. Nachdem ich die Angelegenheit ausführlich mit ihm besprach, meinte ich, es läge vermutlich an seinem Zölibatseid, daß er häufig so reizbar wäre. Inmitten einer detaillierten Erklärung meinerseits – die weitgehend auf meinen eigenen Erfahrungen beruhte – über die Methoden, auf die er zurückgreifen könnte, um seine Schwierigkeiten beizulegen, stürmte er aus dem Zimmer. Vielleicht will er die Weisheit meiner Worte prüfen.«
»Das bezweifle ich. Ist es nicht gefährlich, einen Zauberer zu reizen?«
»Er nimmt sich selbst viel zu ernst«, spottete Seregil und nahm an einem der Arbeitstische Platz. »Wie war dein Ausritt? Was hast du Interessantes gesehen. Wer hat deine Börse gestohlen?«
»Auf dem Seemarkt gab es eine Prozession, und ich …«
Alec hielt inne und starrte Seregil mit offenem Mund an, als ihm die Bedeutung der letzten Frage klar wurde. Er tastete an seinem Gürtel und fand nur die durchschnittenen Kordeln, an denen zuvor seine Börse hing.
»Der Bastard auf dem Seemarkt!« stöhnte er.
Seregil betrachtete ihn mit seinem schiefen Lächeln. »Laß mich raten: dünn, blaß, große Nase, schlechte Zähne? Kam dir aus irgendeinem Grund zu nahe und war nicht mehr loszuwerden? Nahm er dir das hier ab?«
Seregil warf Alec eine Börse zu. Es war seine eigene und außerdem fast leer.
»Er heißt Tym.« Seregil grinste nun noch breiter. »Ich dachte mir, daß er dich auf dem Marktplatz treffen würde. Eine Menschenmenge zieht ihn geradezu magisch an, vor allem wenn Blauröcke anwesend sind.«
Alec starrte Seregil entgeistert an. »Du hast ihn auf mich gehetzt! Er arbeitet für dich?«
»Gelegentlich, daher wirst du ihn wahrscheinlich wiedertreffen. Dann kannst du die Sache mit ihm regeln. Hoffentlich hast du nicht zuviel verloren.«
»Nein, aber ich verstehe nicht, warum du das getan hast. Bei Bilairys Ellbogen, wenn ich den Paß nicht in meiner Umhangtasche getragen hätte …«
»Betrachte es als deine erste Lektion in Stadtleben. Etwas Derartiges mußte früher oder später geschehen. Deshalb dachte ich, je früher desto besser. Ich sagte dir bereits, daß du auf dich achten sollst.«
»Ich dachte, das hätte ich getan.« Alecs Haare stellten sich auf, als er an die Kerle im Nordviertel dachte.
Seregil klopfte ihm auf die Schulter. »Nun, gräm dich nicht. Tym ist auf seine Weise ein Spezialist, ein Junge wie du gehört zu seinen Lieblingsopfern: frisch vom Land, grün wie Gras, mit staunenden Augen, als ob du die Stadt damit verschlingen
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