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Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten

Titel: Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Augen der sie hütenden Kinder. Entlang der Innenmauer waren in Abständen Zisternen in den Boden gelassen. Obwohl die Herden nicht groß waren, befand sich doch genügend Vieh innerhalb der Stadtmauern, um im Falle einer Belagerung die Bewohner über eine Weile hinweg mit Nahrung zu versorgen.
    Im Galopp umrundete er den Nordbezirk der Stadt, bis er Zeichen menschlicher Behausungen entdeckte. Hier waren Verschläge aus grob zusammengezimmerten Brettern an Mauern errichtet, ausgetretene Pfade verbanden diese Hütten. Den Bewohnern dieser Siedlung war die Armut ins Gesicht geschrieben. Unrat bildete die Grenzen ihrer kleinen Heimstätten; dünne Kinder und magere Hunde waren hier unterwegs und durchsuchten den Abfall der Nachbarn nach Brauchbarem. Sie beobachteten jeden Fremden mit Raubtierblick.
    Als er an diesen Hütten vorüberritt, warf sich ein Kind vor die Hufe seines Pferdes und bettelte um ein Kupferstück. Alec zog hart am Zügel und war sogleich von einer Schar Bettler umzingelt. Eine Frau mit strähnigem Haar erschien an der Tür einer Hütte und winkte ihm auf aufreizende Weise zu. Abgesehen von einem zerschlissenen Rock, trug sie nur ein Tuch um die Schultern, und das ließ sie fallen, als sie ihm etwas zurief.
    Alec fischte hastig einige Münzen aus seiner Börse und warf sie hinter sich, um sich den Weg frei zu machen. Aber als er weiterritt, kam er immer tiefer in die Siedlung hinein, und von überall her tauchten Bettler und Nichtstuer aller Art auf.
    Das nächste Tor war bereits in Sicht, da entdeckte er drei Männer, die ihn mit unverhohlenem Interesse beobachteten. Als er nicht mehr weit von ihnen entfernt war, erhoben sie sich vor einem Zelt aus Lumpen und näherten sich dem Weg. Es waren große Männer, und alle trugen offen lange Messer. Alec überlegte, ob er zurückreiten sollte oder einfach sein Pferd antreiben, doch in diesem Augenblick kam ihm ein berittener Trupp auf dem Weg entgegen.
    Die Wintersonne glitzerte auf den Helmen der Reiter. Sie trugen dieselbe dunkelblaue Uniform, die er bereits an den Toren gesehen hatte, und waren mit schweren Schlagstöcken und Schwertern bewaffnet. Die drei Männer verschwanden rasch zwischen den Hütten, als die Reiter sich näherten. Alec ritt geschwind zum nächsten Tor und von dort zum Seemarkt.
    Der riesige Platz beeindruckte ihn nicht weniger als beim ersten Mal. Er blieb eine Weile stehen, um sich zu orientieren und entdeckte die Einmündung der Korngarben-Straße in der Ferne und machte sich auf den Weg dorthin. Er blieb auf einem der breiteren Wege, die in dieser Richtung über den Markt führten.
    Als der Duft gewürzten Lammfleisches ihm in die Nase stieg, hielt er an. Er sah sich um und fand rasch einen alten Mann, der über einem Kohlenbecken Spieße grillte. Da er sich nun schon etwas sicherer fühlte, entschloß er, anzuhalten und etwas zu essen. Er stieg ab, kaufte sich Fleisch und Apfelmost, setzte sich auf eine Kiste und betrachtete die Menschen auf dem Platz.
    So schlimm ist es hier gar nicht, dachte er. Wo war er noch vor sechs Monaten? Er zog durch dieselben Berge, die er schon sein ganzes Leben lang gekannt hatte. Nun saß er inmitten einer der mächtigsten Städte der Welt mit feinen, warmen Kleidern am Leib und Silber in der Börse. Er begann, seine Lage zu genießen.
    Er kaute noch an seinem letzten Bissen, als der dumpfe, ungleichmäßige Klang einer Glocke das laute Treiben auf dem Platz übertönte. Menschen drängten sich an den Rand der Straße, und er schloß sich ihnen an, um zu sehen, was vor sich ging.
    Ein Dutzend Wachen in blauer Uniform eskortierte einen Holzkarren die Straße hinunter auf ihn zu. Hinten im Karren war eine lange Lanze aufgepflanzt; auf ihrer Spitze stak der Kopf eines Mannes, das Kinn zitterte mit jedem Poltern des Wagens. Die glasigen Augen waren nach oben gerollt, als wollten sie selbst im Tod den Zorn und die Abneigung meiden, die ihnen auf diesem letzten Weg entgegenschlug. Unter dem Kopf war’ eine Tafel angebracht, aber verkrustetes Blut überdeckte die Schrift.
    Alec spuckte den letzten Bissen aus und senkte die Augen, als der Karren an ihm vorbeifuhr. Wohin er sich auch heute wendete, überall schien er auf Teile toter Menschen zu stoßen.
    »Fühlt Ihr Euch nicht wohl, junger Herr?«
    Saurer Atem stieg ihm in die Nase. Alec wandte sich um und sah einen dürren jungen Rüpel. Das blasse Gesicht des Burschen wirkte so schmal wie die Klinge einer Axt, und eine große Hakennase verstärkte diesen

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