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Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten

Titel: Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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beiden äußeren jeweils eine Handbreit kürzer waren als das mittlere.
    Der Schreibtisch war von Hand gearbeitet und sowohl am Boden als auch an allen Seiten geschlossen. Er kniete nieder und spähte in die Aussparungen der Schubfächer. Die Aussparung für das mittlere reichte bis zur äußeren Verschalung und wurde durch dünne Holzbrettchen von den Seitenfächern getrennt. Auch diese reichten bis zur äußeren Verschalung. Am Boden der Aussparungen hatte man hölzerne, oben mit Leder bezogene Pufferblöckchen angebracht, damit das Schubfach jeweils richtig mit den anderen abschloß, wenn es ganz hineingeschoben war. Die gleichen Puffer waren ebenfalls an den Seitenfächern angebracht, doch es gab einen Unterschied. Direkt dahinter waren wieder Sperrholzbrettchen festgenagelt, die alles verbargen, was darunterliegen mochte. Er war wohl noch unerfahren, aber der ganze aufwendig gearbeitete Schreibtisch mit seinem komplizierten Innenbau schrie förmlich nach mindestens einem Geheimfach.
    Alec steckte einen Arm in die Aussparung und drückte, tastete und klopfte vergebens darin herum. Als er sich schließlich enttäuscht hinsetzte und sich fragte, was Seregil in dieser Lage wohl täte, fiel sein Blick auf die Kuriertasche. Unwillkürlich kam ihm dabei etwas in den Sinn: Seregil hatte während ihres Einbruchs in Wolde an einer ähnlichen Tasche hantiert und darin tatsächlich eine geheime Vorrichtung entdeckt.
    Wieder tastete er mit beiden Händen langsam die gesamte Tischfläche ab – oben, unten, hinten und an den Seiten –, und endlich fand er einen winzigen Hebel, der gut verborgen hinter dem rechten Tischbein lag. Als er ihn umlegte, tat sich jedoch gar nichts; noch nicht einmal ein verräterisches Klicken war zu hören. Schweiß stand auf seiner Oberlippe, als er noch einmal niederkniete und erneut mit der Untersuchung des Innenraums begann.
    Diesmal fiel ihm etwas auf, das ihm bisher entgangen war. Das unlackierte Holz am Boden des inneren Schubfachs wies parallele Laufspuren auf, die man dort nicht erwarten durfte. Er hatte sie bereits zuvor bemerkt. Doch ein Stück weiter drinnen, beinahe im Zentrum des Bretts, konnte er eine schwache, gekrümmte Schleifspur ertasten, die an einem Punkt in der Mitte zwischen den beiden deutlicheren Spuren begann und am rechten Trennbrett abbrach.
    Er sah genauer hin und bemerkte eine ganz feine, nur haarbreite Spalte zwischen der unteren Kante des Trennbretts und dem Boden des Schreibtisches. Wäre nicht dieser gekrümmte Kratzer gewesen, hätte er den Spalt einfach der Schrumpfung des Holzes zugeschrieben, was in der trockenen Winterluft nicht selten vorkam.
    Wieder drückte er den verborgenen Hebel, und gleichzeitig drückte er auch fest gegen die Kante der ihm am nächsten liegenden Trennwand. Diese schwang an unsichtbaren Scharnieren auf, in die mittlere Aussparung hinein, genau über Alecs Schoß. Dahinter lag ein kleines, dreieckiges Fach, das bis zur Rückwand reichte. Alec grinste in schweigendem Triumph, hob eine lederne Mappe heraus und vernahm dabei das gedämpfte Knistern von Pergament. Er steckte die Mappe vorn in seine Jacke und gab schnell alles an denselben Platz zurück, wie er es vorgefunden hatte.
    Wieder im Korridor angelangt, verschloß er die Tür zum Arbeitszimmer sorgfältig, wie es seinem Sinn für Gründlichkeit entsprach. Kaum war der letzte Sperriegel eingeschnappt, hörte er bereits Schritte auf der Treppe hinter ihm. Die Zeit reichte nicht, um die Tür wieder aufzuschließen oder sich in das Schlafzimmer am anderen Ende des Korridors zu flüchten. Der Schein einer Kerze wurde rasch heller und näherte sich dem oberen Treppenabsatz.
    Verzweifelt versuchte Alec, die Tür des am nächsten gelegenen Zimmers zu öffnen, und tatsächlich gab die Klinke unter dem Druck seiner Hand nach. Er schlich geduckt hinein und spähte durch einen schmalen Schlitz der beinahe geschlossenen Tür auf den Korridor hinaus.
    Zwei Frauen hatten gerade den oberen Treppenabsatz erreicht. Die eine trug einen Leuchter in der Hand. In seinem Kerzenschein konnte Alec erkennen, daß beide aufwendig gekleidet und ausgesprochen schön waren.
    »Er sagte, wir sollten auf dem zweiten Regal rechts von der Tür nachsehen – ein dicker, in Grün und Gold gebundener Band«, sagte die jüngere und sah sich im Korridor um.
    »Wir haben heute abend wirklich Glück, Ysmay«, bemerkte ihre Begleiterin. »Man bekommt nur selten die Möglichkeit, einen Blick in seine Bibliothek zu werfen.

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